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Die natürlichen Feinde mobilisieren

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Ein Massaker mit Hunderttausenden Toten: Ein acht Hektar großes Bohnenfeld wurde mit dem Pestizid Endosulfan gegen Blattläuse gespritzt und danach systematisch abgesucht, um die Wirksamkeit des Mittels nachzuweisen. Außer Blattlaus-Laichen fanden sich 121.000 tote Laufkäfer, 51.000 tote Marienkäfer und mehrere tausend tote Bienen und Florfliegen. Auch das reichhaltige Bodenleben - in einem Gramm Humus leben rund 100.000 Pilze, 400.000 Algen und 600 Millionen Bakterien - war aufs schwerste geschädigt.

Ein solcher Friedhof stellt für neu zufliegende Blattläuse ein Paradies dar: Weil natürlich Feinde fehlen, können sich die Schädlinge explosionsartig vermehren. Der entstehende unnatürlich massive Befall kann zumeist wiederum nur mit der chemischen Keule bekämpft werden. Der Teufelskreis schließt sich.

Es geht auch anders. Schädlinge richten nur dann Schaden an, wenn sie sich ungebremst verbreiten können. Zu jedem Schädling gibt es aber den passenden Gottseibeiuns - und das sieht dann ungefähr so aus:

Die Larve der Gülle-Fliege Ophy-ra kriecht über die Schicht aus Futter- und Kotresten unter den Spaltboden eines Schweinestalls. Auf ihrer Suche nach Beute kreuzt sie den Weg einer Made der Stallfliege - und rammt ihr einen scharfen Schneidezahn in den Leib.

Die Made, wird aufgesägt und mit einem Gift gelähmt. Jetzt kann die Ophyra-Larve die beinahe doppelt so große Fliegenmade in aller Buhe aussaugen - eine lästige Fliege weniger.

Die Idee, Fliegen mit Fliegen zu bekämpfen, stammt aus der DDB. Auch dort vermehrte sich Musca do-mestica, die Stall- oder Stubenfliege, in einem unerträglichen Ausmaß, machte den Menschen die Arbeit und den Tieren das Leben zur Qual. Chemische Spritzmittel konnte sich die DDB nicht leisten; abgesehen davon ist die Stallfliege ohnedies gegen die meisten Pestizide immun.

Auf der Suche nach billigeren Lösungen entdeckte man in Ställen, die von der Fliegenplage verschont geblieben waren, die gerade sechs Millimeter kleine, aus dem Süden der USA stammende Ophyra, die am liebsten auf der Gülle sitzt und Mensch und Tier in Buhe läßt. Der gezielte Einsatz von Nutzungen an sich reicht noch weiter zurück: Bereits 1930 wurden Gallmücken in Massen vermehrt und zur Blattlausbekämpfung eingesetzt.

Was ein guter Nützling ist, so beschränkt er sich beim Fressen auf ganz wenige, genau definierbare Arten. Die einzige Gegenleistung besteht-in der Bereitstellung von Lebensraum - doch gerade daran hapert es vielerorts, denn die vollmechanisierte Landwirtschaft sperrt sich gegen unprofitable Hecken, Hohlwege und Gebüsche, und auch der schrebergärtnerisch glattgebügelte Garten ist für Nutzinsekten ungefähr so anziehend wie für den Menschen ein sterilisierter Krankenhaus-Korridor.

Die erste Begel lautet daher: „Machen Sie Ihren Garten beziehungsweise Ihr Feld für Nützlinge attraktiv!" Schlehen und Hainbuchen etwa bieten Lebensraum für Marienkäfer, Vögel und schneckenfressende Laufkäfer.

Ein Haufen aus Laub und Zweigen mag menschlich-ästhetischen Ansprüchen zuwiderlaufen, für Igel ist er eine Einladung zum Verweilen und Uberwintern. Eine Ecke wildwuchernder Wiese wiederum lockt zahlreiche Nutzinsekten an; als Nisthilfen eignen sich mit Stroh gefüllte Blechdosen oder, für Solitär-wespen, angebohrte Holzklötze.

Darüber hinaus sind im Handel auch tierart-spezifische Nisthilfen erhältlich, von der Fledermaushöhle bis zum Hornissenkasten. Nach einiger Zeit sollte sich ein Gleichgewicht einstellen, in dem Schädlinge zwar noch leben, aber nicht mehr massiv schaden können.

Ein wenig komplizierter ist es um den gezielten Einsatz von zugekauften Nutzungen bestellt - dazu gehört eine gute Portion „Know-how", vor allem was den richtigen Zeitpunkt für den „Einsatzbefehl" betrifft. „Dieser", weist Dr. Gross, Leiter der einzigen österreichischen Nützlings-zuchtstation Biohelp, auf einen entscheidenden Umstand für Erfolg oder

Mißerfolg hin, „muß schon bei den allerersten Anzeichen eines Schädlingsbefalls durchgeführt werden".

Denn: Zumindest die heimischen Nützlinge fliegen bei entsprechendem Nahrungsangebot von selbst zu - bis dahin haben die Schädlinge aber reichlich Zeit, ihr Unwesen zu treiben. Außerdem sind örtliche Gegebenheiten zu berücksichtigen - kann der Nützling im bestehenden Mikroklima überleben, gibt es Arten, die den Erfolg gefährden?

So können zum Beispiel Ameisen zum Problem werden - sie setzen naturgemäß alles daran, Blattläuse, ihre Zuckerlieferanten, vor der Vernichtung zu bewahren; einfallende Nützlinge werden gnadenlos bekämpft. Folgerichtig zeichnet sich ein seriöser Anbieter von Nutzungen auch dadurch aus, daß er ausreichende Beratung mitliefert.

Gross unterstützt die Kundschaft nicht nur beim Einsatz der Nützlinge, sondern auch in der Schädlingsdiagnose. Gegen die Ameisen empfiehlt er einen ebenso einfachen wie wirkungsvollen Trick: Plazieren Sie eine mit Honig und Backpulver gefüllte Schale an der Ameisenstraße -die Tierchen fressen sich daran zu Tode.

Diesen kleineren Schwierigkeiten stehen zahlreiche Vorteile des Nütz-

lingseinsatzes gegenüber - weshalb auch die Nachfrage danach ständig steigt.

Vor allem im Erwerbsgartenbau haben Nützlinge die Chemie zum Teil schon verdrängt: Paradeiser aus heimischem Anbau werden zu 95 Prozent ohne Biozide geschützt.

Das Interesse nimmt aber in allen Bereichen zu, vom Zimmerpflanzer bis zum konventionellen Landwirt. Die Vorteile sind zahlreich: Im Gegensatz zu Pestiziden sind

■ Nützlinge für Mensch, Tier und Pflanze ungefährlich,

■ belasten das Grundwasser nicht,

■ töten keine nützlichen Insekten,

■ und hinterlassen keine Bückstände auf Obst und Gemüse.

Außerdem gibt es keine Schädlinge, die gegen Nützlinge resistent sind - wenn auch in Einzelfällen der passende Gegenspieler erst gefunden werden muß.

So helfen gegen eine Vielzahl exotischer Schädlinge zumeist nur ebenso exotische Nützlinge. Bevor diese als „Pflanzenschutzmittel" zugelassen werden, müssen sie allerdings sowohl ihre eigene Unschädlichkeit als

auch ihre spezifische Wirksamkeit unter Beweis stellen - sie dürfen keine „Generalisten" sein, also viele verschiedene Arten fressen oder parasitieren.

Verwendet werden nur wärmeliebende Arten, die den Winter im Freien nicht überleben. Mit eingeführten Insekten, Milben und Fadenwürmern gab es zwar auch vor der Einführung strengerer Sicherheitsbestimmungen keine Probleme, die Katastrophen mit größeren Tieren rechtfertigen aber die Vorsicht.

So machten sich nach Mauritius verfrachtete indische Mungos wenig aus den Batten, von denen sie die Insel befreien sollten, und fraßen dafür umso lieber die heimischen Vögel.

Mit bei uns heimischen Nutzungen gibt es naturgemäß keine derartigen Probleme, dafür machen sich die Menschen welche: Weil Pestizide laut Vorschrift keine Nützlinge gefährden dürfen (sie tun es zumeist trotzdem), werden nicht die Pestizide abgeschafft, sondern es laufen in den USA erste Versuche, mittels genetischer Veränderung die Nützlinge pe-stizid-resistent zu machen. Ob die Menschheit irgendwann doch dazu-lernt?

Der Autor ist

Chefredakteur von „Ökqforum", sein Beitrag ist dieser Zeitschrift entnommen.

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