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Die „Titanischen Gärtner“

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Ein „zyklopisches Bauvorhaben“ schlängelt sich als „Nadelöhr des Kontinents“ durch „Oasen der Erholung“: eine Schnellstraße, die „ebenso in die Geschichte eingehen wird wie die Andenstraße der Inkas, die Bernsteinroute über die Alpen oder die Ghega-Bahn, ein „Denkmal der Technik und des Geistes, für Generationen und Jahrhunderte in die Landschaft gesetzt“. Und erst rundum! Da atmet man endlich „wieder die würzige Bergluft“, „Romantik und Beschaulichkeit“ ziehen in Dörfer und Marktflecken ein, „grünende, blumenübersäte Hänge“ schmiegen sich an die Trasse, „als hätte sie ein titanischer Gärtner eingepflanzt“. Eine „ingenieurtechnische Weltanschauung“ hat solches entstehen lassen, denn: „... die Wunden werden nicht vernarbt sein — sie sind vielmehr zugeheilt, ohne Spuren zu hinterlassen...“

Es klingt wie das Libretto einer Buffo-Oper. Aber weit gefehlt: Es handelt sich um den offiziellen Prospekt, den jeder Benutzer der Brennerantobahn aus dem In- und Ausland nach Bezahlung von 60 Schilling Mautgebühr erhält. Aber der (übrigens graphisch recht ansprechende) Falter ergeht sich nicht allein in lyrischen Passagen, deren Sohwulstdgkeit man den Ingenieuren der Brennerautobahn nicht wünschen will, sondern

auch in Details von Deutschaufsätzen eines Vierzehnjährigen: Da heißt es: ,,Nur eine Autobahn bringt die Lösung, und es ist wahrlich eine Straße, die in die Zukunft führt.“ Die „historisch gewordene Paßstraße ... ist im wahrsten Sinne des Wortes vom Verkehr überrollt worden“. Denn der Brenner muß ausgebaut werden, „wenn er nicht als Verkehrsbremse ersten Ranges zählen soll“. Doch der in- und ausländische Leser kann beruhigt sein: „Für die ganz schnellen Flitzer ist die Schönbergkehre überhöht.“ Und die Europabrücke bringt es auf eine Länge von 820 Metern. Auch „die 1810 Meter lange Luegbrücke zieht sich zügig zum Brennersee, und von dort ist es nicht mehr weit zur Paßhöhe“. Gott sei Dank! In Tirol gibt es ganz ausgezeichnete Journalisten, die die deutsche Sprache glänzend beherrschen. Und die Brennerautobahn erklärt sich mit ihrer Leistung allein. Da braucht es nicht des Nachhilfeunterrichts durch bombastische Nullitäten, deren Peinlichkeit nur den Urhebern nicht aufgefallen ist.

Alles in allem: die Verfasser der Visitenkarte dieses Bauwerks, auf das Tirol und ganz Österreich stolz sein kann, können den letzten Satz des Prospekts nicht auf sich beziehen: „Der Dank kommender Generationen wird ihnen gewiß sein ...“

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