Buntspecht - © Foto: iStock/CreativeNature_nl

Diplomatie auf Spechtisch

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Wie man den Specht zum Vorbild für Konfliktlösungen nehmen kann.

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Wie man den Specht zum Vorbild für Konfliktlösungen nehmen kann.

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Die Natur ist voller Wunder, das wissen wir so gut, dass wir vergessen haben, wie man ein Wunder wertzuschätzen hat. Derzeit etwa beschweren sich einige Zeitgenossen über das lautstarke Treiben der Spechte und einige schwören den Tieren sogar Rache mit der Schrotflinte. Dabei meint der Specht ja nicht als Lärm, was er da tut - und schon gar nicht als Belästigung des Menschen. Er arbeitet mit dem Klopfen um diese Zeit des Jahres vielmehr an einem Kunstprojekt: „Liebe mit Klopfer-Musik“.

Was uns als Klopfer erscheint, ist also oft eine Note in einer Spechtmelodie, die letztlich sogar ein Schlager werden kann. Dann nämlich, wenn der Vogel damit Partnerinnen anlocken kann. Nach der lautstarken Selbstbewerbung versucht er, mit schön gehackten Wohnhöhlen zu beeindrucken. Es ist also schon etwas Menschliches am Specht und seinem Frühling.

Tatsächlich haben einige Ingenieure sich den Specht zum Vorbild genommen. Allerdings nicht der Balzerei wegen. Sondern wegen seines Gehackes an sich. So ein Specht schlägt nämlich bis zu 12.000 Mal pro Tag auf Stämme ein. Der Schnabel prallt dabei jedes Mal mit 25 Stundenkilometern auf das Holz.

Irgendwann kommt der Punkt, an dem die Hacker wirken und die Gehackten verhandeln. Man muss nur so beständig bleiben wie der Specht.

Zur Veranschaulichung: Wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, ihren Kopf in die Hände nehmen und aus etwa zwei Metern auf die Erde fallen lassen würden, dann hätte der Kopf beim Aufprall etwa 23 Stundenkilometer Speed. Man muss sich also vorstellen, wir ließen unseren Kopf 12.000 Mal pro Tag auf die Erde fallen.

Wunder der Dämpfung

Der Specht aber fängt diese Erschütterungen mit jeder Faser seines Gewebes, Knochen, Muskeln und schwammartigen Strukturen im Schädelgerüst ab. Wir haben es also mit einem echten Wunderwerk des Stoßdämpfens zu tun, das die humanoiden Entwickler dieser Dämpfer immer schon vor Neid erblassen ließ.

Die Spechtereien sind aber auch in übertragenem Sinne gut verwendbar. Wir reden dieser Tage ja immer von Diplomatie und warten auf den Wunderwuzzi, dem die goldene Idee kommt, wie man einen russischen Präsidenten zum Verhandeln bewegen kann.

Die Antwort könnte sein: Beständiges hartes und für einen selbst gut abgefedertes Stoßen, Hacken und Picken – im politischen und wirtschaftlichen Sinn. Wenn es sein muss, auch gerne 12.000 Mal und von den verschiedensten Seiten. Niemals locker lassen, niemals aufgeben. Irgendwann kommt der Punkt, an dem die Hacker wirken und die Gehackten verhandeln.

Man muss nur beständig bleiben, und alle müssen ihren Beitrag leisten, so wie beim Specht jede Faser mithilft, den Stoß zu dämpfen. Diese Anstrengung zum Frieden ist letztlich unsere einzige Chance. Wenn wir scheitern, ist es schlecht bestellt um uns - und damit sind nicht nur Menschen und Spechte gemeint.

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