Sturnus vulgaris - © Foto: iStock / GlobalP

In Nachahmung eines Stars

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Der Mensch imitiert beständig Vorbilder. Eltern, Lehrer, Stars. Wir müssen aber fragen, ob wir bisher ‚die richtigen Lebensziele‘ imitiert haben. Fragen aus der Vogelperspektive in Zeiten von Corona und Isolation.

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Der Mensch imitiert beständig Vorbilder. Eltern, Lehrer, Stars. Wir müssen aber fragen, ob wir bisher ‚die richtigen Lebensziele‘ imitiert haben. Fragen aus der Vogelperspektive in Zeiten von Corona und Isolation.

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Haben Sie schon einmal versucht, einen Vogel nachzuahmen? Jetzt, wo sie draußen so herrlich singen, drängt sich die Nachahmung geradezu auf. Unlängst hab ich versucht, den Abendgesang einer Amsel nachzupfeifen. Also nur eine Kadenz lang. Das war ausreichend. Plötzlich herrschte Totenstille im Geäst. Die Spatzen vergaßen aufs Tschilpen, die Tauben aufs Rufen, der Gartenrotschwanz aufs Kicksen – und auch die Amsel hielt entsetzt inne. Als dann noch eine weibliche Stimme aus dem Haus rief, „Na, heute etwas schrill??“, wurde mir klar, dass Scheitern nicht umfassender ausfallen kann.

Umgekehrt nämlich – und das vermehrt meine Schmach – können Vögel Menschen und andere Geräuschquellen sehr gut nachmachen. Eine wahre Meisterschaft darin hat ein Vogel entwickelt, dem der Mensch beständig Geschwätzigkeit unterstellt. Der Sturnus vulgaris, der gemeine Star, hat es damit sogar in den Rheinischen Märchenschatz geschafft, wo Clemens von Brentano ihm in den Schnabel legt:

Einst war ich Fürst von Starenberg
Mein Maul stand damals überzwerg
Doch habe ich so viel geschwätzt
Ein Schnabel wurde es zuletzt.

Die Schwatzsucht ist eine humane Unterstellung. Denn recht überlegt, muss der Star, bevor er spricht und spottet, ein blendender Zuhörer sein. Er kann nicht nur die Lieder von Gimpeln, Amseln und Spechten imitieren, sondern neuerdings auch die Klingeltöne von Mobiltelefonen, Katzenmiauen und Babygeschrei.

So kann einen dieser Vogel zumindest anregen, einmal über das Phänomen der Imitation nachzudenken. Denn was den Menschen in seinem Leben gewöhnlich voranbringt, hat doch sehr viel damit zu tun: Wir imitieren, was andere tun. Kinder imitieren von frühester „Babyheit“ an ihre Eltern, dann imitieren wir das Wissen, das uns in der Schule verabreicht wird in Tests und Prüfungen. Und so geht es fort in Lehre und Beruf. Beständig gibt es etwas nachzuahmen, um in Erweiterung der Nachahmung Lohn und Ruhm zu gewinnen.

Nun könnte man sich aber einmal fragen, ob wir bisher den/die/das Richtige imitiert haben. Oder ob wir nicht massenhaft schädliche Weisen imitieren und auch noch unsere Kinder imitieren lassen. Das beginnt bei der Fabrikation konzentrierter Selbstbezogenheit in sozialen Netzwerken, und im allgemein verpflichtenden Stargehabe (ungefiedert). Es führt über Glücksgefühle, die nur noch über Materie oder Bezahldienste herzustellen sind; und reicht bis zum Verschleiß wertvoller Lebensenergie in sinnlosen Berufen. In einem geflügelten Starmodus des Lebens könnte man dagegen nach neuen Melodien der Existenz suchen, die der Imitation wert wären. Die herrschende Zeit verordneter Privatesse bietet sich dafür an. Und die Erfolgsaussichten sind höher als bei Versuchen, der Amsel nachzupfeifen.

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