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Kunststoff und Wachs

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Die Medizin und die mit ihr zusammenarbeitenden Disziplinen können nicht immer heilen - um die Wahrheit zu sagen, sie können sehr oft nicht heilen, wenn zum Beispiel Gewebe zerstört ist, kann es meist nicht mehr hergestellt werden. Damit beginnt ein zweiter Abschnitt medizinischer Bemühungen: der Ersatz.

Besonders spektakulär ist der Ersatz im Bereich der plastischen Chirurgie. Nach Unfällen oder nach größeren operativen Eingriffen, etwa bei Krebskrankheiten, ist es wichtig (für manche Patienten lebenswichtig), daß der Körper nicht nur wieder „funktioniert”, sondern auch „erträglich” ist- fürdie Kranken selbsteben-so wie für die Mitmenschen.

Schwere Zerstörungen der Gesichtsknochen durch Krebs hinterlassen einen seelisch nur schwer ertragbaren Zustand. Es ist fast Tradition, daß Menschen mit solchen schweren Verstümmelungen nicht mehr vor's Haus treten. Sie isolieren sich und vereinsamen.

Natürlich kann nichts ihnen den Zustand „davor” wiedergeben. Aber die Chirurgie heute ist doch imstande, dank sowohl neuer chirurgischer Methoden als auch neuer Werkstoffe, wenigstens kosmetisch zu helfen.

Manfred Frey von der Abteilung für plastische und Wiederherstellungschirurgie im Wiener AKH: „Was heute geht, hat man vor zehn Jahren noch für unmöglich gehalten. Wir können nach schweren Verletzungen und Eingriffen die betroffenen Teile, zum Beispiel im Gesicht, so versorgen, daß sie praktisch randlos mit den umliegenden Strukturen verwachsen. Gleichzeitig legt man Verankerungen an, die im Knochen sitzen, aber so dicht vom Gewebe umfangen werden, daß Infektionen nur mehr selten vorkommen.”

Man kann auf diese Weise Magnetknöpfe verankern, die dann für den künstlichen Teil, der die fehlenden Haut-, Muskel und Knochenareale ersetzt, als „Ankerplatz” dienen. Die Magneten halten den künstlichen Teil des Gesichts fest.

„Dabei geht es um ganze Gesichtsteile, inklusive der funktionellen Anteile”, erklärt Frey. „Die heute möglichen künstlichen Ersatzteile, sogenannte Epithesen, also Aufsätze, sind in der Praxis den Versuchen überlegen, mit Hilfe von körpereigenem Gewebe eine Wiederherstellung zu versuchen. Der neue Teil wird aus Kunststoff, Wachs und Pigmenten aufgebaut. Das ist eine diffizile Arbeit, für die es einen eigenen Beruf gibt: Den Epithetiker, gesuchte Fachkräfte, denn solch eine Rekonstruktion ist fast ein künstlerisches Produkt.”

Immerhin muß man Einzelheiten bedenken wie zum Beispiel die Wintertauglichkeit. Gibt es beim Luftdurchtritt, beim Ein- und Ausatmen Probleme wegen der Außenkälte, muß sich der Epithetiker etwas einfallen lassen. In Zürich, von wo Frey auf den Wiener Lehrstuhl berufen wurde, hat man sich eine beheizbare Epithese einfallen lassen. Die Luft wird - mit Batterieenergie vorgewärmt, ehe sie die empfindlichen Regionen streift.

Die Herstellung einer Epithese kann wochenlang dauern.

Für viele Menschen bedeuten die Fortschritte von Chirurgie und Technik ein „neues” Leben - ermöglicht unter anderem durch Materialien, die erst jüngst entwickelt wurden. Ein wenig nascht die rekonstruktive Chirurgie auch bei anderen Disziplinen mit. „Wir haben zum Beispiel viel von Zahnärzten profitiert”, meint Frey. „Die neuen zahntragenden Implantate waren die ,Mütter' unserer Fortschritte.”

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