Larve - © Foto: iStock / Florian DENIS

Larvierend Eisbären retten

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Inspiration durch eine Käferlarve über Plastik und Müll, und wie wir da raus kommen.

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Inspiration durch eine Käferlarve über Plastik und Müll, und wie wir da raus kommen.

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J üngst gab es ein kurzes innerredaktionelles Scharmützel zur Auswahl der in dieser Kolumne vorgestellten Tierarten. „Warum denn nicht mal was Nettes?“ Zugegeben, Eisbärjunge weisen höhere Beliebtheitswerte auf als Schwarzkäferlarven. Wie soll man auch etwas toll finden, das landläufig zur Sorte „Totenkäfer“ wird – schwarz wie der Pfarrer und in Moder verliebt wie der Gruftspion? Ganz Ähnliches gilt für die Mehlmotte, die menschliche Lebensmittel in Abfall verwandelt, indem sie etwa delikate Brösel in ein webend-zuckendes Eierlarvengewebe verwandelt. Und trotzdem werden beide in jüngster Zeit mit wissenschaftlichem Lob und Preis bedacht, das selbst Eisbären verblassen lässt. Denn man hat erkannt, dass Larve und Motte Mikroorganismen im Verdauungstrakt ihrer Körper tragen, die Plastik zersetzen können.

Recycling – ernst genommen

Nachgewiesen war das schon bisher bei der Motte. Nun fanden australische Forscher beim Großen Schwarzkäfer, dessen Larven sie auf Styroporkost umstellten, ein ähnliches Phänomen. Die Larven machten sich über das Plastik her, als wäre es ein lecker-vermodernder Holzbalken. Das scheinbar Ungenießbarste, Unverdaulichste der Welt wurde Nahrung. Es dürfte auch geschmeckt haben, denn laut Wissenschaftern nahmen die Larven eindeutig zu. Daraus die große natürliche Waffe im Kampf gegen die Plastikplage abzuleiten, wäre etwas früh. Aber die Geschichte kann anregen, sich Gedanken über den Gebrauch und die Erzeugung von Dingen zu machen

Wie viele unserer Produkte blieben übrig, müssten die Hersteller nachweisen, dass sie vollständig und nachhaltig abbaubar sind?

In dem Sinn, dass ein einmal erzeugtes Produkt nur dann gut sein kann, wenn es am Ende seines Lebenszyklus wieder in seine Bestandteile zerlegt oder umgebaut nutzbar wird. Das wäre doch eine schöne Basis für eine Diät menschlichen Konsums. Jedes unserer Produkte müsste vor seiner Massenherstellung geprüft werden, ob es am Ende seines Lebenszyklus tatsächlich auch „verdaut“ werden kann. Denn ganz allgemein gefragt: Wie viele von unseren Produkten blieben übrig, ginge es nach diesem Prinzip? Man braucht ja nur einmal im Kleinen beginnen und in die oberste Küchenlade zu blicken: Gefrierbeutel, laminierte Folien, Eiswürfelsäcke, Crushed-Ice-Beutel, Frischhaltefolien, Bratschläuche, Grillfolien, Alufolien. Was nur für Minuten genutzt wird, braucht Jahrhunderte, um natürlich abgebaut zu werden. Oder ins Aktuelle gedreht: Um wie viel weniger russisches Gas bräuchten wir, wenn man einmal an eine systematische Einschränkung der Produktion von Dinge dächte, die mehr schaden als nützen? Nach erfolgter Antwort würden wir vermutlich sehen: Wenn wir das ähnlich effizient wie Larve und Motte könnten, würden wir die Bestände von Eisbärbabys effizienter schützen als mit jedem süßen Bildchen in Zeitung und Internet.

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