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Sancte Christophore, o.p.n.

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Die Sache mit den Winterreifen hatte natürlich Zeit. Seit Anfang November, seit jenen Tagen also, die heuer so unglaublich mild und warm waren, Stand das Montieren der Winterreifen in meinem Notizbuch vermerkt. Aber wie das so ist mit Terminen — eie pflegen einander zu überschneiden, das Unaufschiebbare geht vor, das Aufschiebbare wird verschoben. Das Wetter war mild, das Wetter war warm, die Sommerreifen blieben auf den Felgen. Und dann kam, über Nacht, der Schnee.

Nicht nur so ein bisserl Schnee, nicht nur so ein paar großstädtische Flocken aus Schmutz und Wasser, zur bloßen Belästigung übelgelaunter Passanten — nein, weißer, harter, alles bedeckender, alles vermummender, ganz und gar echter Schnee, und er fiel tagelang, nächtelang, unablässig. Arktisch. Zu Haufen. Zu Bergen.

Inmitten der Schneeberge stak mein Fahrzeug und hatte keine Winterreifen. Es stak darin, einsam und weit entfernt von jeder Tankstelle, Werkstätte, Garage oder jedem sonstigen Zentrum beflissener Hilfeleistung, auf die ich — Relikt humanistischer Bildung und daher technischer Volltrottel — nun einmal angewiesen bin. Um das Fahrzeug aus den stündlich wachsenden Schneebergen herauszumanövrieren, um es über die Eisfelder zu steuern, in die sich harmlose Straßen urplötz lich verwandelt hatten, um die Stätten beflissener Hilfeleistung zu erreichen, um Winterreifen auf die Felgen zu bekommen, hätte es bereits vorhandener Winterreifen bedurft So aber stand ich vor dem Problem, daß etwas geschehen mußte, was nicht geschehen konnte. Außerdem gibt es Berufspflichten und so etwas wie Bürozeiten.

Das sind die Augenblicke, und jeder erfahrend Kraftfahrer kennt sie, in denen nur Wunder helfen können. Der erfahrene Kraftfahrer weiß auch, daß Wunder in solchen Augenblicken einzutreten pflegen. Man muß ihr Eintreten nur mit aller vorhandenen Dickköpfigkeit und Unverfrorenheit für selbstverständlich halten und -alle etwa entgegengehal- tenen Vernunftargumente mit angemessener Schärfe von sich weisen. Wer intensiv auf einem Wunder besteht, dem widerfährt es (überraschend anders und unsanft unter Umständen, aber es widerfährt).

Und da wollen uns ein paar entsetzliche Theologen den heiligen Christophorus ausredien! Jedem einzelnen von ihnen wünsche ich ein schönes, tadelloses Fahrzeug ohne Winterreifen, inmitten von Schneebengen und ferne jeglicher Hilfe. Jawohl.

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