7120309-1996_33_15.jpg
Digital In Arbeit

Selektion der Gene

Werbung
Werbung
Werbung

Im ersten Drittel unseres Jahrhunderts wirkte in Rußland der berühmte Obstzüchter Iwan Mitschurin. Er kreuzte Pflanzen verschiedener Sorten und Arten, um Eigenschaften zu erhalten, die es in der Natur nicht gab. Ich weiß nicht mehr, ob die Kreuzung von Kartoffeln mit Tomaten - damit man oben und unten ernten kann - tatsächlich gelang, oder nur beabsichtigt war, jedenfalls von Kartomaten-Plantagen ist mir nichts bekannt.

Man witzelte, Mitschurin hätte Weinrebe mit Hund gekreuzt, damit die Weintrauben bellen, wenn sich Diebe an sie ranmachen.

Die theoretischen Grundlagen der sowjetischen „mitschurinschen" Biologie erwiesen sich als total falsch. Die Lehre, die dem Menschen versprach, erkönne die Natur nach belieben verändern, führte ad absurdum der hochgefeierte und -dekorierte Scharlatan Trofim Lyssenko. Sein Hauptfeind war die Genetik. Dem Biologie-Stalin Lyssenko und Konsorten gelang es in der Mitte des Jahrhunderts, unter aktiven wissenschaftlichen Einsatz der Geheimpolizei diese „reaktionäre Pseudowissenschaft" in der Sowjetunion zu liquidieren, mitsamt ihrer Vertreter.

Und jetzt ist es die verhaßte Genetik, mit ihrem praktischem Zweig, der Gentechnik, die alle Träumereien, Spinnereien - und sogar die betrügerisch manipulierten „Ergebnisse" Lyssenkos - zu verwirklichen und zu übertreffen verspricht. Vielleicht werden sogar die bellenden Weintrauben Wirklichkeit - schließlich wurden die heute schon auf dem Markt in England vorhandenen haltbaren Tomaten mit Hilfe des Anti-Frost-Genes einer arktischen Scholle gezüchtet.

Es scheint alles möglich zu sein. Es gibt so viele spezialisierte Gene - und jeden Tag werden neue entdeckt -daß der Phantasie keine Grenzen gesetzt werden können.

Knoblauch ohne Geruch wäre wohl eine Kleinigkeit, obwohl meines Erachtens nicht wünschenswert. Um

Bratzwiebeln zu bekommen, braucht man nur die Knolle mit Oliven-Genen zu verbinden, dann kann man sie in eine trockene Pfanne schneiden, ohne Zugabe von fremdem Fett. Bei zusätzlicher Anwendung von Genen des Granatapfels würde die Zwiebel nach Entfernung der Schale in kleine Würfelchen zerfallen und muß nicht mehr unter Tränen geschnitten werden.

Etwas mehr Kombinieren würde wohl die Obstsalat-Frucht verlangen, die den Geschmack von allen üblichen Zutaten vereint. Man schneidet die große Frucht durch und löffelt perfekten Obstsalat. Weniger umständlich stelle ich mir die Bohkost-Züchtung vor - einfach Karotte mit Zitronen-Genen.

Olivenölhaltige Kartoffeln sollte man lieber nicht kreieren - ich mag Bratkartoffeln mit Schmalz oder Butter. Außerdem wird es ja schon die geölten Zwiebeln geben. Dann eher Kartoffeln ohne Schale und Scholle ohne Gräten züchten.

Es geht aber nicht nur um die Fresserei. Man kann zum Beispiel zur Beruhigung der Tierschützer pelzlose

Leoparden und Ozeloten züchten. Ja, man kann sogar den biblischen Traum vom Frieden verwirklichen, in dem der Löwe und das Lamm friedlich miteinander spielen - durch Löwen mit Lamm- und Lämmer mit Löwengenen. Man müßte freilich die Löwen auf pflanzliche Kost umprogrammieren, sonst würden sie vor Hunger aussterben. Und sie sind immerhin eine geschütze Art, im Gegensatz zu den Lämmern.

Man kann allerhand Spezien von Menschen hervorbringen. Menschliche Gene leben schon seit einigen Jahren in Stieren. Mit Stier- oder Tigergenen könnten aggressive Kämpfer gezüchtet werden, als Berufskrieger, zur Entlastung der restlichen Bevölkerung. Mit Genen von Eseln oder Ochsen entstünden perfekte Arbeitstiere, wiederum zur Entlastung der restlichen Bevölkerung. Man könnte die Muttermilch durch Kakao-Gene bereichern.

Es lohnt sich nur nicht, anständige, humane, friedliche und tolerante Menschen zu züchten. Sie würden unsere gesellschaftliche Selektion nicht überleben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung