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Surfen auf der Bio-Welle

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Als ich vor einigen Tagen wieder einmal mit mehr Zeit als sonst durch einen Supermarkt schlenderte, fiel mir nach wenigen Minuten ein merkwürdiger Umstand auf. Ich griff zu einem Emmentaler inländischer Herkunft, untersuchte ihn auf sein Ablaufdatum, und entdeckte dabei den Hinweis, daß dieser einer sei, der von glücklichen Bio-Kühen stamme. Natürlich landete er, ich bin ein Tierfreund, in meinem Einkaufswagerl.

Sodann studierte ich die Aufschrift eines Quargels und durfte feststellen, daß er ein reines Bio-Produkt sei. Da ich die Abkürzung „Bio” irgendwie mit „Biologie” oder „biologisch” in Zusammenhang brachte, setzte mich der Hinweis insofern in Erstaunen, als ich Biologie bislang laut Lexikon stets als die Lehre von allem Lebendigen empfunden hatte. Und da nun einmal jede Kuh, die man als Ausgangspunkt meines Käses zweifellos zu betrachten hatte, doch zweifellos lebendig war, mußte der Hinweis auf die biologische Herkunft des Quargels als zwar richtig, aber einigermaßen unnotwendig empfunden werden. Doch ich weiß schon, das Kürzel „bio” soll in unserer Zeit auf die besonders naturnahe Produktion hinweisen, ich bin ja nicht von gestern, und so steckte ich den Quargel zum bereits im Wagerl liegenden Emmentaler.

Die Flasche Botwein, die nun folgte, kam ebenfalls ohne den Hinweis auf ihre Bio-Entstehung nicht aus, ich quittierte es mit Genugtuung. Beim Joghurt, dessen Zutaten und Inhalte ich nun am Begal auf eventuelle Gelatine-Beifügungen untersuchte, was mir durch die Ablehnung jeglichen Binderwahns, seiner Gründe und Folgen, das Zurückstellen des Bechers auferlegt hätte, sprang mir, jetzt war ich schon gefaßt darauf, die Inschrift „Bio” entgegen. Die Semmeln und das Schwarzbrot waren, wie könnte es anders sein, bio, der Fruchtsaft, ich hatte es geahnt, war bio, die Äpfel -bio, Badieschen, Butter, Pizzaboden, Bandnudeln, Eier, Champignons, ja sogar ein am Rand entdecktes Paar

Gäste-Hausschuhe - alles bio. Als ich bei der Kassa eine Tragetasche für alles Eingekaufte erwarb, entpuppte sie sich zumindest als biologisch abbaubar, ich war beruhigt, die Welt war offensichtlich in Ordnung.

Dann aber überkamen mich Zweifel. War sie das wirklich? Beim Auspacken all meiner Schätze in meiner mit biologischen Möbeln eingerichteten Bio-Wohnung, beim Einräumen in den biologischen Eiskasten, beim Entsorgen des biologischen Einwickelpapiers in meine Biotonne, die knapp an einem Biotop lag, überlegte ich. War ich mit vielen Zeitgenossen ein Bio-Opfer einer bio-nostalgischen Bio-Kampagne?

Nun, mein Entschluß war klar. Sollte ich jemals meine Auto-Biographie schreiben, so müßte diese, da mein Auto ja längst über einen biorhythmischen Katalysator verfügte, eine Bio-Auto-Biographie sein. Sollten Sie jetzt über diesen Bio-Kalauer böse sein, gehe ich in mich. Ich nehme an, daß da drin alles bio-logisch ist. Alles andere wäre bio-unlogisch. Oder schlicht unbiologisch?

Welches Buch fängt so an?

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