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Über die Dummheit

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Die Schwierigkeit, den Begriff der Dummheit zu definieren, beruht auf den zwei verschiedenen Bedeutungen dieses Wortes, darauf, daß es nicht nur eine Dummheit gibt, sondern deren zwei. Nennen wir sie zur Unterscheidung Dummheit der ersten und der zweiten Art. Nur über die letztere gibt das Lexikon Auskunft: mangelnde Fähigkeit, Schlüsse zu ziehen, sei darunter zu verstehen. Das große Phänomen als Intelligenzmanko abzutun, dagegen spricht unsere Erfahrung, die K. H. Waggerl einmal in die schlichten Worte kleidete: „Intelligent ist jeder Trottel.“ Vor Intelligenz macht Dummheit doch nicht halt. Auch wäre unverständlich, weshalb nur der Mensch dumm ist und nicht auch das so viel unintelligentere Tier. Ein Unintelligenter aber — seine Dummheit ist von der zweiten Art — ist nicht dumm, sondern dümmer: dümmer als seine Umgebung. Wenn diese wechselt — und er braucht dazu oft gar nichts zu tun —, schlägt solche Dummheit sogleich in ihr Gegenteil, in Gescheitheit um. Das ist nicht die Dummheit, die wir meinen. Die ist dauerhaft.

Doch: „Die Bedeutung ist der Gebrauch“, sagt Wittgenstein. Aber gebrauchen wir „dumm“ wirklich nur als Gegensatz zu gescheit? Und wenn, lassen wir dann nicht jedesmal, die Dummheit gleichsam entschuldigend, den vorwurfsvollen Ton unserer Verantwortlichkeit mitklingen? Sind doch wir es, die sie, messend und vergleichend, erst erzeugten! Ethy-mologisch nachzuweisen freilich ist nur der Dummheit zweite Art: Stumm, taub, -unerfahren und töricht sind die ursprünglichen Bedeutungen des Adjektivs. Doch morgen wird der Stumme vielleicht schon reden — wie Parsifal — und Taubheit vielleicht geheilt, Erfahrung nachgeholt, Torheit abgelegt sein. Ein Schemen und nur ein Spaß ist die Dummheit von der zweiten Art.

Wie ernst dagegen ist es um die Dummheit erster Art bestellt! So

ernst, daß wir sie erkennend, von ihr 'schweigen müssen. Umfaßt sie doch den ganzen Menschen — und nicht nur seine Intelligenz, an deren Skala sie darum auch nicht in Graden abgelesen werden kann. Immer ist sie die ganze Dummheit, und es nützt ihr nichts, viel zu wissen oder gut Schlüsse zu ziehen. Wie nach Kierkegaard die Schönheit über dem Schönen, schwebt vor dem Beschauer gleichsam als ein Drittes die Dummheit über dem Dummen. Ihr Gegenteil ist Weisheit, zu der hinauf von solcher wahren Dummheit keine Leiter führt.

An Dummheit muß man, wie an Schönheit und an Liebe, glauben. Dennoch ist sie kein Ideal, sondern Wirklichkeit. Wir haben in Dingen Dummheit so gut unsere Glaubens-erfahrung, wie in Dingen Schönheit und Liebe. Sie ist wahrlich kein leerer Wahn. Oder kennen wir ihn etwa nicht wirklich, den Dummen, der Karriere gemacht hat und der doch immer noch dumm ist? Denn wahre Dummheit ist nicht korrigierbar. Dazu müßte sie sich für dumm halten können. Doch wie der Wahnsinn, erkennt auch die Dummheit nie sich selbst: Die wahre Dummheit nämlich, der, wie Fausts Müttern die Einzahl, die Mehrzahl fehlt, und die daher niemals Dummheiten macht.

Aber seit langem schon sind die Ärzte und Physiologen ja übereingekommen, daß Alter etwas völlig Relatives und Persönliches, von der Jahreszahl gänzlich Unabhängiges ist und daß Leute von 50, 60 Oder 70 Jahren gänzlich verschiedenen Alters sein können. Thomas Mann

Es ist besser, ein guter, gewöhnlicher Bourgeois zu sein, als ein schlechter, gewöhnlicher Bohemien oder ein Pseudoaristokrat oder, ein zweitklassiger Intellektueller.

Aldous Huxley

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