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Viehische Menscheleien

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In Holland wurden einem Stier menschliche Gene eingebaut und er darf jetzt Kühe decken, die Kälber mit einigen menschlichen Eigenschaften zur Welt bringen sollen. Mit welchen und wozu, weiß ich nicht. Irgendeine vernünftig klingende Begründung mußten die Manipulatoren angegeben haben, sonst halte nicht das niederländische Parlament dem Experiment sein Placet gegeben. Mich interessieren aber die wirklichen Gründe.

Die Verbreitung und Verewigung der eigenen Gene ist das biologische Lebensziel jeder Tierart und jedes Individuums. Haben also die Gentechniker einen listigen Weg gefunden, das Erbgut der Tierart Mensch schneller durch potente Stiere verbreiten zu lassen? Vom Standpunkt der Gattung Mensch gesehen, gibt es aber auf unserem Planeten viel zu viele Träger dieses nicht übermäßig wertvollen Erbguts. Vom Individuum aus gesehen - wer möchte schon als Nachkommen Kälber und Ochsen haben? Apropos, ist es rechtlich zulässig, einen vermenschlichten Stier durch Kastrierung zu verstümmeln - auch wenn man ihn dadurch zum Ochsen macht, also noch mehr dem Menschen annähert? Darf man denn - und will man ebensolche Kälber schlachten und essen? Oder ist es sogar ein raffinierter Versuch, uns auf dem Umweg über die veränderten Binder an Kannibalismus heranzuführen?

Ich weiß nicht, ab wievie-len Genen die Mendelschen Gesetze in Kraft treten. Nach Mendel müßten die manipulierten Kühe genauso viele Kälber mit menschlichen Eigenschaften wie Menschen mit viehischen Eigenschaften gebären. Was wollen wir mit den letzteren tun? Der Bedarf an menschlichen Viechern ist auch ohnedies großzügig gedeckt.

Wollen vielleicht die Wissenschaftler mit ihrem Experiment beweisen, daß die Legenden von Mino-taurus und von den Kentauren einen wahren Kern haben? Was unsere Wissenschaftler können, konnten möglicherweise auch die Gelehrten irgendwelcher längst verschollener Zivilisationen, die eben deshalb untergegangen sind, und nur in den legenden Spuren hinterlassen haben. Ihre Be-zepte wurden nicht erhalten, weil sie als Geheimnisse irgendeiner Magierkaste gehütet wurden. Jetzt wurden sie neu erfunden, auf den Fortschritt ist Verlaß.

An genetischer Produktion von Mensch-Tier-Mutanten sehe ich auch keinen Bedarf. Minotaurus war bösartig - obwohl sein Verlangen nach Jungfrauen eigentlich nur den menschlichen Teil seiner Natur offenbarte; unter den Kentauren gab es sogar Philosophen. Für beide Kategorien haben wir aber genug Spezialisten ohne tierische Leiber.

Die wahrscheinlichste Erklärung ist, daß die Wissenschaftler durch ihr Experiment einfach zeigen wollen, was sie alles können. Das ist aber, wie wir aus der Geschichte wissen, das Gefährlichste. Absichten sind nicht wichtig, nur die Folgen zählen.

Ich bin keine Genetiker, es kann sein, daß ich alles falsch verstehe, daß die Geschichte mit dem genierten Stier (bitte das „g” nicht französisch zu lesen) ganz harmlos ist. Und nur die künftigen, ihrer Basse entfremdeten Kälber angeht.

Im schlimmsten Fall ist sie eine Episode, ein Mosaiksteinchen in dem großen Generalplan zur Vernichtung, beziehungsweise Beduzierung der das gesamte Leben auf dem Planeten bedrohenden Horde Mensch. Niemand weiß, wer diesen Plan in Gang gesetzt hat - Gott, die Natur oder ein unbekanntes Gremium unbekannter Mächte. Wir sehen nur, daß für dieses Ziel alle Mittel eingesetzt werden. Und - wo die Erdbeben und Vulkanausbrüche, Dürre und Überflutungen, Hungersnöte und immer neue Krankheiten nicht ausreichen, springen die Menschen ein, die bereitwilligsten Instrumente des Planes zur Ausrottung der Menschheit.

Trotzdem habe ich das Gefühl, man müßte gegen diese Vieherei protestieren. Nur -1 wer sollte protestieren, die Menschen oder die Binder?

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