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Vom Mond

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Die Straße hatte viele Löcher, durch diese Löcher sah ich in den Himmel. Denn sie waren mit Wasser gefüllt, und in der gesänftigten Abendstille spiegelte sich das blaue Firmament selbst auf der Oberfläche von Lachen. Klar und ein wenig fade sah es von unten zu mir herauf, das Blau war ausgewaschene Wasserfarbe, die Schäfchenwolken wirkten hingewischt und gehaltlos, und zwischen den Fetzen wehte Verblasen der Mond, nicht ganz voll, nicht ganz halb, keine Kugel, sondern ein Scheibchen. So hoch stand er am Himmel, daß ich, im Hinunterstarren auf das Spiegelbild, fast schwindlig wurde und mich zwingen mußte, tapferen Fußes die Lache zu überschreiten.

Ich war ihm jetzt sehr überlegen, dem Mond, der midi doch manchmal mit seinem heftig zehrenden Licht so unruhig machte, vor dem ich Bangen hatte, wenn er nachts über dem Haus stand, als wolle er mich strenge ins Gebet nehmen; ja, als wolle er meine Seele aus ihrem Gehäuse z?rren und nicht in denHimmel, sondern in ein Zwischenreich führen. Wenn dieser Nticht-mond in die unbeleuchteten Zimmer fiel — der Ausdruck hat seine Gegenständlichkeit —, meinte ich, es griffen Hände herein, ich sei nimmer allein, aber auch nicht wohlbehütet. Dennoch trug er mich oft auch schwebend über die Erde, und die langschäftigen Gräser berührten kaum meine Schuhe. Was die Sonne nicht tut, das kann er nicht lassen, er hat es auf die Menschen abgesehen, packt sie und beutelt sie.

Sein zauberhafter Bleiglanz hat so viel von Magie wie von Alchimie. Ich glaube, man kann im Mondlicht bleichen. Quecksilber strömt durch unsere Adern im Licht des Mondes. Seine zehrende Kraft zieht uns den Hut. Die Fenster der

Häuser werden von außen her beredt, man dringt nicht mehr ein. Wir leben plötzlich nicht mehr hinüber, sondern innen drinnen, in einem Geisterschloß gefangen, es ist kühl und ohne Wirklichkeit. Da oben droht die verglaste Faust der Gerichteten. Man widersteht dem Mond nicht. Aber er nimmt uns auch nicht mit. Bald wird er kleiner, bald geht er später auf, bald muß er mit dem Tag kämpfen, bald lachen wir ihn aus, wenn er sich mit den Schäfchen abgibt. Er ist die Wandelbarkeit, deshalb tritt die Madonna seine schwächliche Sichel mit Füßen Seine Macht ist vielleicht, daß er nicht immer da ist.

Hätte ich den Wunsch an das Schicksal frei, so würde ich mir alle Wochen einmal Vollmond wünschen. Denn er schafft uns eine zweite Welt. Sonne oder Regen, das sind Erscheinungsformen, Sonne oder Mond, das sind Gestalten. Die Woche hätte dann zwei Halbmondtage, zwei Sicheltage, zwei dunkle und eine strahlende, die Vollmondnacht.

Unser Leben ohne Mond wäre viel ärmer, unser Leben ohne Furcht wäre es auch, ohne Leid wäre es ganz arm. Vollleidnächte strahlen über die sonnigen Tage hin. Es ist ganz gut, daß man auch nachts ein Gewissen haben muß. Gäbe es keine Ewigkeit, wie er sie unableugbar macht, man dürfte manchmal aus dem Leben austreten. Die Ungeheuerlichkeit da oben verbietet es mit kühl ätherischem Lächeln.

Ach, ( es ist schon dunkel geworden! Der Mond schwimmt auf allen Lachen. —

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