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Wir Zauberlehrlinge

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Der erste Klon von einem erwachsenen Säugetier in Schottland (aus den USA wissen wir, daß es bei Affenembryos auch schon funktioniert hat) wurde zur Weltsensation.

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Der erste Klon von einem erwachsenen Säugetier in Schottland (aus den USA wissen wir, daß es bei Affenembryos auch schon funktioniert hat) wurde zur Weltsensation.

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Die einen rufen nach Gesetzen, die anderen nach einer weltweiten Übereinkunft in so tief auch die menschliche Existenz berührenden Fragen: Das Schweigen der belämmerten Forscher -so wirkten die ersten Reaktionen auf das Klon-Schaf „Dolly” - ist inzwischen einer lebhaften Diskussion über die möglichen Folgen des schottischen Experimentes gewichen (siehe Schwerpunkt auf den Seiten 2 und 3).

Das ungläubige Staunen darüber, was dem Team des Embryologen Ian Wilmut gelungen ist, geht Hand in Hand mit beklemmenden Fragen: Können bald genetisch identische Kopien eines Lebewesens (von der Kaulquappe bis zum Menschen) bei Bedarf wie am Fließband hergestellt werden? Wurde damit nicht ein Rubikon überschritten? Machen wir Menschen nicht oft die Erfahrung des Zauberlehrlings, der die Geister, die er rief, nicht wieder los wird?

Der aus Wien stammende große Chemiker Erwin Char-gaff hat einmal gemeint, die Menschheit hätte besser von zwei Kernen die Finger lassen sollen - vom Atomkern und vom Zellkern. Nun, sie hat es nicht getan, der faustische Drang nach Erkenntnis gehört untrennbar zum Menschen. Kann er allerdings die Folgen seiner Erkenntnisse, etwa die Atombombe, nicht unter Kontrolle halten, so ist seine ganze Existenz gefährdet. Und was kann ihm bei dieser Kontrolle helfen: Gesetze, Ethik, Religion?

Dem Wiener Gynäkologen Johannes Huber stand bei seiner Stellungnahme im Fernsehen die Betroffenheit über die Meldung aus Schottland ins Gesicht geschrieben. Er setzt mehr als auf Gesetze, die zweifellos auch nötig sind, aber auf deren Einhaltung man sich nie verlassen kann, auf so etwas wie ein Weltethos in dieser Frage; zugleich fürchtet Huber aber, daß sich die Menschheit moralisch „noch in der Steinzeit ” befinde.

Die Menschheitsgeschichte lehrt, daß es immer einige gibt, die Forschungsergebnisse mißbrauchen, die Gesetze ignorieren. Wenn der Einsatz von Atomwaffen nach Hiroshima und Nagasaki unterblieben ist, so liegt es wohl hauptsächlich daran, daß niemand die Folgen genau kalkulieren und sich selbst daher als völlig ungefährdet betrachten kann. Reproduktionstechniken erfordern hingegen kaum, daß sich der Anwender selbst in große Gefahren begibt. Schon bietet der britische Mediziner Paul Rainsbury in einer Klinik in Saudiarabien (überall sonst ist sein - für die Gesundheit des Kindes sehr gefährliches -Vorgehen verboten) Eltern an, das Geschlecht ihres Embryos zu bestimmen. Während dort der Wunsch nach männlichen Nachkommen dominiert, sollen schon Plünderte Frauen in Schottland angefragt haben, ob sie sich nicht klonen lassen könnten. Der Mensch scheint, wie Gott in der Bibel, bestrebt, Wesen nach seinem Bilde zu schaffen.

Wem fällt angesichts dieser Entwicklungen nicht Aldous Huxleys Roman „Schöne neue Welt” („Brave New World”, in Anlehnung an eine Zeile in Shakespeares „Der Sturm”) ein? Nähern wir uns nicht immer schneller einer Welt, in der scheinbar glückliche, freie Menschen leben, die aber in Wirklichkeit einen Alptraum darstellt?

Jn Huxleys Welt der nach Geschlecht und Intelligenz vorprogrammierten Retortenbabys, in der das Wort „Mutter” einen geradezu obszönen Klang hat, werden an einer Stelle verschiedene Fragen an Studenten gerichtet:

„Versucht zu erkennen, wie es war, eine lebendgebärende Mutter zu haben.”

Wieder dieses schmutzige W”>rt A her diesmal fiel keinem im Traum ein, zu lächeln

„Versucht euch vorzustellen, was ,in einer Familie leben' bedeutete. ” Sie versuchten es, aber offenbar ohne den geringsten

Aldous Huxley

Erfolg.

„ Und wißt ihr, was ein Zuhause war?”

Sie schüttelten ihre Köpfe.

Uns nützt es angesichts heutiger den Zerfall der Familie begünstigender Tendenzen nichts, die Köpfe zu schütteln oder sie in den Sand zu stecken. Wenn geklonte Säugetiere keine Utopie mehr sind, wird es vielleicht auch die Entwicklung von Kindern außerhalb des Mutterleibes eines Tages nicht mehr sein. Es sollte uns nachdenklich machen, was Aldous Huxley (189+-1963) 1958 in seinem langen Essay „Wiedersehen mit der Schönen neuen Welt” schrieb:

„Im Jahre 1931, als ich die Scheine neue Welt schrieb, war ich überzeugt, daß wir noch viel Zeit hätten. Die völlig organisierte Gesellschaft, das wissenschaftliche Kastensystem, die Abschaffung des freien Willens mittels methodischen Konditionierens, die durch regelmäßige Verabreichung pharmakologisch hervorgerufener Glückseligkeit annehmbar gemachte Versklavung, die in nächtlichen Schlafunterrichtskursen eingetrichterten Glaubensartikel - das alles würde wohl einmal kommen, aber nicht zu meiner Lebenszeit, nicht einmal zu der meiner Enkel ... Siebenundzwanzig Jahre danach, in diesem dritten Viertel des 20. Jahrhunderts n. Chr. und lange vor dem Ende des 1. Jahrhunderts n. F. (nach Ford), denke ich beträchtlich weniger optimistisch denn damals, als ich Schöne neue Welt schrieb. Die Prophezeiungen von 1931 werden viel früher wahr, als ich dachte ... Der Alptraum totaler Organisation, den ich ins 7. Jahrhundert n. F. verlegt hatte, ist aus der ungefährlich fernen Zukunft herausgetreten und erwartet uns unmittelbar vor unserer Tür.”

Natürlich können und sollen jene recht behalten, die damit argumentieren, schon bisher sei nicht alles, was möglich ist, auch wirklich gemacht worden, schon gar nicht beim Menschen. Der „Dolly”-Vater Wilmut meint ja, im großen und ganzen sei „die Menschheit doch eine sehr moralische Gattung”. Aber selbst wenn wir diese optimistische Sicht teilen, sollten wir, um wachsam zu bleiben, auch die Skepsis Aldous Huxleys, mit der er seinen Text von 1958 beendete, im Hinterkopf behalten: „Vielleicht sind die Mächte, die heute die Freiheit bedrohen, zu stark, als daß ihnen sehr lange Widerstand geleistet werden könnte. Es ist dennoch unsere Pflicht, alles, was in unseren Kräften steht, zu tun, um ihnen Widerstand zu leisten.”

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