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Anleitung zum Portugalisieren

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Das Folgende ist eine vor sieben Jahren geschriebene, jetzt auf den neuesten Stand gebrachte Rezension des amerikanischen Romans „The Triumph“. (Von John Kenneth Gailbraith, deutsch bei Droemer-Knaur, München.) Die 1969 erschienene ..deutsche Ubersetzung fand damals hierzulande wenig Aufmerksamkeit. Noch lebte man in der Ära Klaus/Withalm, die Freie Welt und ihre Wirtschaftswunder schienen heil zu sein und Ausdrücke wie Vietnamisieren oder Portugalisieren konnte sich nicht einmal der verschrobenste Zukunftsforscher ausdenken.

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Das Folgende ist eine vor sieben Jahren geschriebene, jetzt auf den neuesten Stand gebrachte Rezension des amerikanischen Romans „The Triumph“. (Von John Kenneth Gailbraith, deutsch bei Droemer-Knaur, München.) Die 1969 erschienene ..deutsche Ubersetzung fand damals hierzulande wenig Aufmerksamkeit. Noch lebte man in der Ära Klaus/Withalm, die Freie Welt und ihre Wirtschaftswunder schienen heil zu sein und Ausdrücke wie Vietnamisieren oder Portugalisieren konnte sich nicht einmal der verschrobenste Zukunftsforscher ausdenken.

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Außerdem gab es vom Romanautor viel bemerkenswertere Bücher. Wissenschaftlich fundierte Fachbücher, die Bestseller waren. Neben diesen wissenschaftlich fundierten Werken nahm sich die „non-novel novel“, wie der Verfasser selbst seinen Roman nannte, eher dürftig aus. Politiker lesen nicht Romane dieser Art und in der Ära einer „Verwissenschaftlichung der Politik schlug die Tendenz, Politik in Romanform verständlicher zu machen, moderner Denkungsart ins Gesicht. In den USA fand das Buch weiteste Verbreitung. Lachend erzählte später der Autor, der kleine Roman habe ihm mehr Geld eingebracht als seine ganze Lehrtätigkeit an der Havard-University. Wenn man bedenkt, daß ein Empfänger des berüchtigten österreichischen Politikergehalts im Vergleich zu einem gutbezahlten Harvard-Professor ein armes Würstchen ist, dann wird einem klar, daß Galbraith, der Verkünder eines „New Socialism“, für sich modo ca-pitalistico lebt. So wie das heute jeder bessere Sozialist tun^ann. Diese Annehmlichkeit im Sinne Bertolt Brechts gibt Galbraith Muße, den Minderbemittelten seinen Sozialismus zu predigen.

In dem hier besprochenen Buch wird (1968) vorhergesagt, wie ein kleines katholisches Land nach einer Serie vo Diktatur- und Revolutkms-experimenten zugrunde geht, nach links abkippt und schließlich der KP in die Hände fällt. Die Erzählung beginnt in einem Zeitpunkt, als es in „Lateinamerika nicht mehr als ganz ehrenwert (galt)... unter einer Diktatur lateinamerikanischer Prägung zu leben“. Wenn schon Diktatur, dann eine im Stil von Fidel Castro, also eine rote Diktatur. Kein traditionelles Pronunciamiento, sondern ein „Wissenschaftlicher Sozialismus“, also Wissenschaft statt Gläubigkeit. Und keine primitive Säbelherrschaft alter Militaristen, sondern das Bündnis einer Roten Diktatur mit den jungen linksgedrallten Capitanos der Armee. So gesehen, Ist die 1974/75 erfolgte Portugalisierung quasi Ertrag einer politischen Entwicklungshilfe der Dritten Welt an die Alte Welt. Eine seltsame Vorhersage dessen, woran man 1968 in den europäischen Staatskanzleien und im Stabsquartier der NATO nicht einmal im Traum dachte.

Der Roman „Die Triumph“ macht die heutige Doppelbödigkeit der US-Politik, namentlich ihrer Diplomatie, sichtbar. Unter dem US-Botschafter Mr. Pethwick, beschränkt, steril und reaktionär wie dieser ist, haben es die „fortschrittlich“ gesinnten Botschaftsangehörigen leicht, ihre Gesinnungsfreunde im Gastland bei der „Demokratisierung“ des fraglichen Staates kräftig zu unterstützen.

Da ist der stellvertretende US-Heeresattache: „Als „Ibero-Amerikaner“ aus dem Staate New Mexico braucht dieser progressive Captain erst keinen Nachholunterricht, um sich mit der linksgedrallten „Capi-tansbewegung“ des Landes zu verständigen. . Er besitzt, wie Galbraith erzählt, ausgezeichnete Beziehungen zu den jüngsten Offizieren des Landes. Zu jenen Offizieren, die sich schon zu Beginn ihrer militärischen Laufbahn „hintergangen fühlen“. Diese, zum Teil US-getrimmten Offiziere, möchten den Militärdienst nicht als eine „lebenslange Pfründe“ ansehen. Unter ihnen kursiert die, wenn auch vage und verworrene, Vorstellung, daß nur eine Revolution das Land „retten kann“ und daß „die bewaffneten Streitkräfte die treibende Macht“ sein müßten. In den Feldkisten dieser Offiziere würde

man nicht mehr das Bild der jungen Kennedy finden, sondern — wenn auch verborgen — das des Fidel Castro. Die jungen Herren schauen auf Mexiko und Kuba. Dort wächst der Wohlstand, weil die Revolution die „Großgrundbesitzer und die faulen Pfaffen“ verjagt hat. Gewiß, die Zustände in Kuba lassen noch zu wünschen übrig. Aber darüber setzt sich der „Irrealismus“ — sonst von Galbraith mäßig geschätzt — hinweg. Und: Keine Angst vor den USA. Sind nicht in unmittelbarer Nähe zu den USA, in Mexiko und Kuba, die „großen Revolutionen“ siegreich gewesen? Und warum? Weil das Volk von Mexiko und Kuba

aus nächster Nähe betrachten konnte, daß in den USA „etwas nicht stimmt“.

Und da ist der US-Botschaftsrat Joe Hurd. Ein Fossil aus der Epoche der dreißiger Jahre, als in den USA der Geist noch so entschieden links stand. Solche Linksintellektuelle von gestern hatten es nach 1945, als der Kalte Krieg ausbrach, schwer im Staatsdienst der USA. Für den alternden Hurd ist die eben in den USA aufkommende „Neue Linke“ eine späte Hoffnung. Er spürt, daß in dem fraglichen Land, in dem er die Immunität eines Diplomaten hat, irgendwann ein „Knall“ erfolgen wird. Nur: „Man kann heutzutage einfach nie vorhersagen, wo es zum Knall kommt“, meint Mr. Hurd.

Der junge stellvertretende US-Heeresattache beruhigt diesbezüglich seinen älteren Kollegen, der mit der „Angst vor dem Kommunismus“ rechnen muß, zu der er von Amts wegen verpflichtet ist, ohne selbst richtig daran zu glauben. Daß es die Capitansbewegung am liebsten mit Fidel Castro halten würde, das sagen die jungen Offiziere des Landes nicht einmal ihrem ibero-amerika-nischen Kameraden. Aber dieser weiß es so und das kalkulierte Experiment einer linksradikalen, womöglich kommunistischen Machtergreifung im Land schreckt ihn nicht ab. Jede neue Ordnung, die den amtierenden Diktator, der kein Roter ist, zum Verschwinden bringt, ist ein Fortschritt.

Unter den -fortschrittlich Gesinnten in der US-Botschaft weiß man, daß im Untergrund ein gewisser Jose Maria Miro tätig ist. Ein Katholik, was ihn in „reaktionären“ Kreisen Washingtons nicht sehr sympathisch macht. Außerdem heißt

es, Miros Denkvorstellungen gegenüber dem Kommunismus seien nicht ganz dicht. Das Mutterland der Demokratie liebt den landesüblichen Diktator, der kein Roter ist, gewiß nicht. Aber — er ist ein Verbündeter aus der Zeit des gemeinsamen Kampfes gegen den Hitlerismus und den Faschismus. Und daher bekommt sein Land Wirtschaftshilfe, Rüstungsmaterial und US-getrimmte Capitanos. Nach solchen kostspieligen Investitionen zögert man in Washington, sich auf das einzulassen, was nach einem Sturz des Diktators kommen könnte; etwa ein KP-Regime, wie unverbesserliche Rechtspolitiker unken. In diesem Punkt sind auch die fortschrittlichsten Ideen des alternden Hurd ein wenig fixiert. Er hält es mit der parlamentarischen Demokratie und für ihn gibt es nur eine Revolution, die zählt. Nämlich die der amerikanischen Vorväter von 1773.

Hundert Jahre lang wurden in lateinamerikanischen Staaten Serien von Revolutionen entweder im Umkreis der Freimaurerloge der Hauptstadt oder der dortigen Kaserne vorbereitet und gemacht. Immer haben

sich Militärs, früher allerdings Generäle und keine Hauptleute, „hintergangen gefühlt“. Noch steht in der Hauptstadt des fraglichen Landes jenes imposante Haus aus der Kolonialzeit, das so lange Mittelpunkt gesellschaftlicher Aktivitäten der Loge war. Aber der Diktator, obwohl kein Klerikaler, liebt keine Logengeheimnisse und überhaupt keine Geheimnisse, außer seine eigenen. Am Vorabend des Sturzes des Diktators sucht Hurd einen der Alten auf, die trotz der Polizei des Diktators in dem traditionsreichen Haus ausgehaiten haben. Sein Gewährsmann ist Relikt aus der Zeit der Blüte des „Dollarimperialismus“. Nur widerstrebend erklärt er sich bereit, dem Regime von morgen dienlich zu sein. Er tut es schließlich, weil das „Wirtschaftsleben unter allen Umständen weitergehen muß“. Mit einer Selbstentblößung ohnegleichen zeigt Galbraith an dieser Stelle seines Romans auf, was es bedeutet, wenn sich ein vom Kommunismus bedrohtes Land den Verfechtern eines unbedingten Wirtschaftsliberalismus anvertraut. Und lieber mit den Kollaborateuren des Kommunismus zugrunde geht, als die momentanen Wirtschäf tsverhält-nisse zu „vernachlässigen“.

Fast im Stile Nestroys beschreibt Galbraith die Stunde, die dem Diktator schlägt: Es ist die Stunde der Siesta. Ohne einen Schuß besetzen die Revolutionäre die Radiostation. Sie kamen zu dieser Stunde nämlich „unerwartet“. Um die Telefonzentrale kümmert sich weder Freund noch Feind. „Das Telefon der Hauptstadt ist ohnedies unter aller Kritik.“ Der Kommandant der Armee, der sich schon zum Uberlaufen fertig gemacht hat, muß dem Diktator leider melden, es habe sich „eine Anzahl

von Offizieren bedauerlicherweise abgesetzt“. Verluste unter den Kämpfern gebe es Gott sei Dank keine. Indessen habe die übliche Neugierde die Zivilisten auf die Straße gelockt und so hätten verirrte Kugeln ihre Opfer gefunden.

Das Kollektiv Masse schätzt Galbraith, nach Herkunft immerhin ein Liberaler, gering. Von der „Kunst des Aufstands“ hält er wenig. Er hat kein Auge dafür, wie Berufsrevolutionäre wie „Zangen“ das „flüssige Eisen“ der Volksbewegung mit ihren feuerfesten Behältern auffangen, in vorbereitete Gießformen schütten, um schließlich über der erstarrten und amorphen Masse eine rote Diktatur auszuüben. In der ersten Stunde des Umsturzes läßt auch Galbraith den KP-Führer Aragon nur im Hintergrund agieren, ist das Bild des Diktators von morgen unscharf. Daß Aragon und seine KP zuletzt ihre Diktatur über dem fraglichen Land aufrichten können, schreibt Galbraith, der Exdiplomat, einer „unfähigen US-Außenpolitik“ zu. Diese zögere meistens viel zu lange, um in einem fortschrittlichen Land ein Bündnis von Nichtkommunisten mit Kommunisten zu unterstützen. Obwohl das oft der einzige Weg zur „Demokratisierung“ des Landes ist.

Seit dem Morgen des Sieges der Revolution in dem von Galbraith ins Auge gefaßten Land geht es dort im großen Ganzen so zu, wie es in Portugal seit dem Militärputsch von 1974 zugeht. Es amtiert zunächst der in jeder Hinsicht „vorläufige“ Präsi-

dent der neuen Regierung, Jose Maria Miro, ein im Untergrund bewährter Linkskatholik. Eine momentane Erschlaffung der revolutionären Kräfte hält er für „Normalisierung und Stabilisierung“ der Verhältnisse. Er räumt die Gefängnisse, denn die Revolution braucht Platz für ihre Gefangenen. Politiker und Militärs, die schon in der Kampfzeit der Revolution dieser ihre „Loyalität“ erwiesen haben, ohne direkt die Risken eines Revolutionärs auf sich zu nehmen, werden auf Aüslandsposten abgeschoben, Wilde Demonstrationen gegen die USA werden nicht ungern gesehen. „Besser gegen die USA als für die UdSSR zu demonstrieren“, ist der momentane Slogan.

Miros starke Stütze ist-der Innen-und Polizeiminister Luis Carlos Ma-dera. Wie jeder echte Revolutionär, entstammt er einer alteingesessenen und vermögenden Familie. Nach seinem Studium an der „London School of Economics“ hat er allerdings einige Distanzen zu seiner Herkunft gelegt. Galbraith nennt ihn, er ist ja quasi Fachkollege des Autors, einen „Ehrenmann“. Dies nicht zuletzt deswegen, weil er den „Banditen mit den weißen Helmen“, also der Polizei, Zügel anlegt.

Interessanteste Erscheinung im Triumvirat der neuen Herren ist der Erziehungsminister Roberto Ryan. Auch er ist ein echter Revolutionär: Alteingesessene Familie, Vermögen, wenn auch vom eben verjagten Diktator zum Teil beschlagnahmt. Ryan hat die Sympathie der jungen Revolutionäre für sich. Denn ihn umwittert nicht nur der Schimmer revolutionären Geschehens, dessen Tatzeuge er nach seiner Exilierung in diversen Ländern wurde; er tritt offen und scharf gegen die

USA auf. Und er geht auf die Verstaatlichung dessen los, was im Lande noch nicht zugrunde gerichtet wurde. Verstaatlichung und „Zentralisierte Planung der Planung“ sind die Heilmittel, die Galbraith in seinem jüngsten Werk als Segnung seines „New Socialism“ anpreist.

Nun folgt der vielleicht interessanteste Teil des Romans. So wie Karl Marx den Hegelianismus umstülpte, um zu seinem Systemgedanken zu kommen, stülpen die neuen Machthaber des fraglichen Landes um, was sie an den Universitäten der Mutterländer der Demokratie (USA, England usw.) als Studenten gelernt haben. Sie sprechen von der Erziehung des Individuums für dessen gesellschaftliche Aufgaben und richten dabei Sehulungsburgen der Linken ein. Sie rechnen mit dem Militarismus ab, schaffen das Heer ab und organisieren eine „Miliz“, an deren Spitze der Kommunist Aragon tritt; weil er die größte Erfahrung im Umgang mit Waffen und im Töten hat. Und sie entlarven den Anti-Kommunismus als Waffe des Kapitalismus, Amerikanismus und Imperialismus; Schlagworte, die bisher die Massen nicht erkennen ließen, daß „der Kommunismus eirie ganz andere, eine höhere Entwicklungsstufe der Gesellschaft ist als Sozialismus“. Angesichts dieser Alarmzeichen gehen die USA in Lauerstellung. Sie verlauten: Die Kommunisten blockieren die Demokratisierung des Landes. Damit aber stellen sie in dem armen Land die KP nicht bloß. Im

Gegenteil: Der KP-Slogan, die USA wollen uns aushungern, zieht bei weitem mehr als der andere Hinweis, nämlich der auf die Gefahr des Kommunismus. Es kommt der zweite Schub der Revolution. Diesmal nicht in der Stunde der Siesta, sondern in der Stillen Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr. Denn der Kommunismus ist immer dann am erfolgreichsten, wenn die anderen feiern.

Unter der Tarnparole: Miro duldet die subversive Propaganda des Kommunismus und er versagt bei der Lösung der Wirtschaftsprobleme, jagt die Capitansbewegung Miro aus dem Land. In Miami Beach fällt Miro weich und ein Lehrstuhl am Economic Growth Center einer US-Universität gibt Muße zum Uberdauern. Maderä, den Polizeiminister, trifft es schwerer. Aragon, bald nicht mehr bloß Kömmandant der „Miliz“, hält es mit ihm so, wie es Kommunisten immer mit Polizeiministern vorangegangener Regime halten. Am schlechtesten ergeht es dem Erziehungsminister Ryan. Bei der internen Endabrechnung der Kommunisten kommt heraus, daß er nicht linientreu ist Als „Trotzkist“ wird er erschossen.

„Keine Person in diesem Buch ist erfunden“ schreibt Galbraith in der Einleitung. Und: „Die Personen sind durchwegs stückweise aus Leuten zusammengesetzt, mit denen ich (Galbraith) während meiner Zeit als Diener des Staates zu tun hatte“. Nach den Erfolgen der Portugalisierung glaubt man Galbraith diese Feststellung. Und man bewundert ihn, daß er seltsamerweise 1968 das aufs Haar genau beschrieb, was nachher geschah.

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