7042280-1990_21_06.jpg
Digital In Arbeit

Anna, jetzt hamma's

19451960198020002020

619,4 Milliarden (oder 81.500 Schilling pro Kopf) Schulden hatten die Öster- reicher Anfang 1989. Eine umfangreiche Studie gibt erstmals Einblick in die Si- tuation der Haushalte.

19451960198020002020

619,4 Milliarden (oder 81.500 Schilling pro Kopf) Schulden hatten die Öster- reicher Anfang 1989. Eine umfangreiche Studie gibt erstmals Einblick in die Si- tuation der Haushalte.

Werbung
Werbung
Werbung

In so gut wie allen „hochentwik- kelten" Marktwirtschaften läßt sich eine rasante und - verglichen mit anderen Kreditformen - überpro- portionale Zunahme des Konsu- mentenkredits feststellen. In den meisten Ländern ist auch das Kon- sumentenkreditvolumen schneller als das Einkommen gewachsen. Von den Fachleuten wird durchwegs die Auffassung vertreten, daß sich ein Ende dieser Entwicklung noch keineswegs abzeichnet. Im Gegen- teil: „Plastikgeld", Home-Banking und elektronisches Bestellwesen (BTX) lassen neue Wachstumsim- pulse erwarten.

Wie stellt sich die Situation in Österreich dar?

Graphik 1 gibt einen Überblick, wobei unter dem Begriff Konsu- mentenkredit alle möglichen For- men des Geldausborgens für die Zwecke eines Privathaushaltes subsumiert wurden (insbesondere fielen auch Kredite für Wohnraum- schaffung, Darlehen von Freunden und Bekannten sowie Gehaltsvor- schüsse darunter).

Die Untersuchung ergibt, daß 32 Prozent der österreichischen Haus- halte Kreditverpflichtungen haben. In absoluten Zahlen: Etwa eine Million österreichische Haushalte sind kreditverschuldet. Die über- ragende Bedeutung nimmt die Fremdfinanzierung von Wohnraum (Anschaffung, Adaptierung) ein. Jeder vierte Haushalt hat hier Ver- pflichtungen (siehe Grafik 2).

Dienstleistungen, die vielfach im Konsumenten-Kreditmarketing der Banken als eine wichtige Wachstumshoffnung angesehen werden (Fernreisen), dürften von den Haushalten noch relativ selten fremdfinanziert werden. Nur ein Prozent der Haushalte ist aus die- sem Grund belastet.

Besondere Beachtung verdient auch jene Kategorie, die angibt, wie häufig Haushalte für „andere Zwecke", (zum Beispiel zur Dek- kung der Lebenshaltungskosten") einen Kredit aufgenommen haben. Zwar ist dies nur bei einem Prozent der Haushalte der Fall, aber gerade sie waren weit häufiger als andere finanziellen Belastungen ausge- setzt. Es ist anzunehmen, daß diese Kredite zu einem Gutteil zur Über- brückung eines finanziellen Eng- passes dienen.

Haushalte, die sich für „andere" Zwecke - also insbesondere für die Lebenshaltung - Geld ausgeborgt hatten, geraten häufiger in Rück- zahlungsschwierigkeiten als ande- re. Grob geschätzt kann davon ausgegangen werden, daß knapp 30.000 Haushalte deshalb Rückzah- lungsverpflichtungen haben, weil sie sich Geld ausgeborgt haben, um „über die Runden" zu kommen.

Kreditnehmernehmen umso eher Kredite (nur) für Wohnraum auf, je höher das Einkommen ist. So hatte nur jeder zweite Kreditnehmer- haushalt mit einem Einkommen unter 10.000 Schilling ausschließ- lich für diesen Zweck einen Kredit aufgenommen. Bei Haushalten mit einem Einkommen von 30.000 Schilling und mehr betrug der ent- sprechende Wert immerhin 72 Pro- zent.

Überhaupt lassen sich interessan- te Strukturverschiebungen bei den Verwendungszwecken feststellen:

• Arme Haushalte nehmen über- durchschnittlich oft Kredite nur für ein einziges dauerhaftes Konsum- gut auf. Sie sind auch diejenigen, die sich am ehesten Geld für den unmittelbaren Lebensbedarf aus- borgen müssen.

• Die etwas reicheren Haushalte tendieren stärker dazu, auch meh- rere dauerhafte Konsumgüter gleichzeitig kreditzufinanzieren.

• Die noch besser situierten Haus- halte „wagen es" merklich öfter als die anderen, gleichzeitig mit dem Wohnraum auch ein dauerhaftes Konsumgut kreditzufinanzieren.

• DiebeststituiertenHaushalte ha- ben es wieder weniger notwendig, ihren Konsumstandard auf Kredit- basis zu finanzieren, sie setzen Kredite hauptsächlich für Wohn- raum (-beschaffung) ein.

Gerade die reichen Haushalte dürften sich damit, was die Kredit- aufnahme betrifft, hochrational verhalten. Denn einerseits machen sie von den Möglichkeiten der ge- förderten Kredite Gebrauch; und dann investieren sie die aufgenom- men Mittel vielfach auch noch in Güter (wie Eigentumswohnungen, Liegenschaften und so weiter), die nicht dem rasanten Wertverfall der üblichen Konsumgüter unterliegen, ja sogar eine Wertsteigerung erfah- ren können, die über den Kredit- zinsen liegt. Hier werden die Gren- zen zur „kreditfinanzierten Veran- lagung" fließend. Als ein Extrem- beispiel sei die Veranlagung in mit Steuergeldern geförderte Wohnun- gen genannt, wo nach der Darle- henstilgung die Wohnungen frei vermietet oder verkauft werden können, und so eine Rendite erzielt werden kann.

Wie stellt sich nun die Kreditauf- nahme dar, wenn man die „Woh- nungskredite" unberücksichtigt läßt?

Haushalte mit einem hohen Haus- haltseinkommen haben die Kredit- finanzierung von dauerhaften Kon- sumgütern nicht mehr nötig. Sie können ihre aktuellen Bedürfnisse aus laufenden Einkommen, Erspar- nissen oder nach einer kurzen An- sparphase befriedigen.

Pointiert könnten also drei Kre- ditnehmertypen skizziert werden:

Die armen Konsumenten, die für eine halbwegs anständige Grund- ausstattung Kredite brauchen und sich später die Raten „vom Mund" absparen.

Die soziale Mittelschicht, die damit bereits „Standard" finanziert und bei der der „Zeitvorteil" den Zinsnachteil übersteigt.

Die soziale Oberschicht, die mit einem Kredit in der Weise „arbei- ten" kann, daß auch Veranlagungs- und Vermögensbildungsaspekte stark berücksichtigt werden.

Die Kreditverschuldung tritt bei der jüngsten Gruppe von Haushalts- vorständen sehr häufig auf, bei Haushaltsvorständen zwischen 26 und 35 Jahren erreicht sie ein Ma- ximum und fällt danach relativ kon- tinuierlich ab.

Die jüngeren Haushaltsvorstän- de nehmen Kredite weit häufiger als andere nur für die Finanzierung von Konsumgütern auf, nicht ein- mal die Hälfte von ihnen hat einen Kredit wegen Wohnraum(-beschaf- fung) laufen. Mit zunehmendem Alter gewinnt der Wohnraum an Gewicht, dauerhaften Konsumgü- ter verlieren an Bedeutung.

Es zeigt sich auch, welche über- ragende Bedeutung geförderte Kre- ditformen in Österreich haben, von den drei meistgenannten sind zwei gefördert:

• 16 Prozent aller österreichischen Haushalte sind in geförderten Dar- lehen verschuldet;

• Zwölf Prozent haben einen nor- malen Schalterkredit laufen;

• Acht Prozent sind mit einem (ge- förderten) Bausparkassenkredit belastet.

Alle anderen Kreditformen sind demgegenüber von deutlich unter- geordneter Bedeutung. Es fällt be- sonders auf, daß

• jene Arten, denen die größte Dy- namik vorausgesagt wurde (Dis- positionskredit, Kreditkarten), noch eine relativ geringe Verbrei- tung haben. Die aktuelle Verschul- dung liegt beim längerfristigen Dis- positionskredit bei einem Prozent. Beim Kreditkartenkredit wahr- scheinlich auch in dieser Größen- ordnung;

• der Ratenkauf mit einem Ver- breitungsgrad von einem Prozent der Haushalte seltener anzutreffen ist, als wohl erwartet worden war;

• Kreditvermittler nur in Aus- nahmefällen genannt werden.

Wie werden Kredite aufgrund dieser Erhebung bedient?

Acht Prozent aller österreichi- schen Kreditnehmerhaushalte ge- rieten mit ihren Rückzahlungen in ernsthafte Schwierigkeiten. Das heißt, es hängt bei ihnen zu einem beträchtlichen Teil vom Entgegen- kommen des Kreditgebers ab, ob sie in den „modernen Schuldturm" geworfen werden oder nicht. Am ehesten hatten wohl noch jene ihre finanzielle Souveränität behalten, die ihre Rückstände immer wieder ausgleichen konnten (vier Prozent). Bereits völlig vom Wohl- wollen der Kreditgeber ab- hängig waren j ene, die neue Vereinbarungen abschlie- ßen mußten (drei Prozent). Und für ein Prozent ist die Situation wohl aussichts- los. Auf Österreich hoch- gerechnet heißt das: 80.000 österreichische Haushalte haben gegenwärtig Kredit- verpflichtungen, die sie bereits an den Rand des finanziellen Ruins ge- bracht oder finanziell rui- niert haben.

Die Kreditnehmer wur- den auch gefragt, wie sie denn die zukünftige Ent- wicklung ihrer Rückzah- lung einschätzten:

83 Prozent der Kredit- nehmerhaushalte sehen „von einer gesicherten Basis aus" optimistisch in die Zukunft. Zwölf Prozent bangen, daß es in der Zu- kunft schlechter wird. Vier Prozent hoffen, daß es in Zukunft besser wird. Ein Prozent hat sich aufgege- ben. Zum Befragungszeitpunkt empfanden sich somit 17 Prozent aller Kreditnehmerhaushalte als be- droht. Auf Österreich hochgerech- net: 170.000 Haushalte leben in der Angst, daß sie ihre Kredite nicht (mehr) zahlen können.

Redaktionell bearbeiteter Auszug aus: „Pri- vatverschuldung in Österreich. Konsumenten- kredite zwischen Wunderwelt und Offenba- rungseid".Von Ullrich Schönbauer. Institut für Gesellschaftspolitik, Wien 1990.

Die FURCHE wird sich in weiterenFolgen mit dem Thema Verschuldung auseinandersetzen und das Problem aus verschiedenen Perspekti- ven beleuchten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung