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Annäherung

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Noch schwanken ihre Charakterbilder von der Parteien Gunst und Haß verzerrt in der Geschichte: Engelbert Dollfuß und Kurt Schusch-nigg werden in diesem Gedenkjahr sehr widerspruchsvoll „gewürdigt“. Noch immer ist in Österreich Geschichtsschreibung nicht frei vom Einfluß parteipolitischen Denkens.

Viel öfter als das, Ja“ Karl Renners zum Anschluß“ wird das „Ja“ Kardinal In-nitzers zitiert, und es gibt sozialistische Spitzenfunktionäre, die einem Dollfuß nicht zugestehen wollen, daß er Widerstand gegen Hitler geleistet hat.

Von einer einigermaßen objektiven Beurteilung unserer gemeinsamen Vergangenheit sind wir noch weit entfernt, und die Ereignisse der letzten Monate haben diesen Prozeß einer Annäherung eher gehemmt. Annäherung, das würde bedeuten: Anerkennung einer geteilten Schuld für die Entwicklung in den dreißiger Jahren. Geteilte Schuld — nicht zu gleir. chen Teilen, aber entsteht eine solche Katastrophe wirklich durch eine völlig einseitige Schuld? Und Annäherung müßte auch bedeuten, daß man endlich den Unterschied zwischen autoritär und totalitär anerkennt.

Es ist schon interessant, wenn der deutsche Historiker Golo Mann in der letzten Nummer der ,JZeit“ über den Anschluß“ und seine Vorgeschichte schreibt, die christlich sozialen Bundeskanzler Seipel und Dollfuß hätten sich „redlich bemüht, zu einer Zusammenarbeit mit der Linken zu kommen. Die entzog sich regelmäßig, in der Hoffnung, eine absolute Mehrheit im Parlament zu gewinnen... Es war die verblendete Politik der Linken, welche Dollfuß zwang, sich den Heimwehren und dem italienischen Protektor Mussolini zu fügen.“

Golo Mann liefert auch eine in Österreich ungewohnte Charakteristik des „unterschätzten“ Schuschnigg: „Er war ein feinfühliger, mutiger, ideenreicher Politiker, ein guter Österreicher auf verlorenem Posten.“

Nun kann man darüber streiten, ob solche Einordnungen historisch begründbar sind. Und man soll darüber streiten. Gerade das aber geschieht ja in Österreich nicht oder zu wenig.

Lassen wir uns also von Golo Mann bestätigen, daß der Zweiten österreichischen Republik gelungen ist, was der Ersten nicht gelang: „Sie hat ihre Identität gefunden, nach innen und nach außen. Sie ist — ich darf nicht sagen: eine zweite Schweiz geworden —, aber sie steht der Schweiz heute doch näher, als sie der Bundesrepublik nahe steht.“

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