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Annäherung ans Klischee

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Die Trilogie des Thomas Bernhard ist - vorderhand - beendet. Nach „Keller“ und „Ursache“ kam nun der letzte Band, „Der Atem“, heraus. Kurze Titel also, prägnant, leicht faßbar, ganz im Gegensatz zu den sich mühsam dahin-schleppenden 158 Seiten des vorhegenden Buches. Eine ermüdende Angelegenheit.

Thomas Bernhard, der Großleider, der professionelle Kranke unter den zeitgenössischen österreichischen Innerlichkeitsliteraten. Ein Rivale Peter Handkes, seines Zeichens zweiter Großmeister des Leidens. Nur, Thomas Bernhard bewegt sich in einer anderen Kategorie. Sein Leiden ist körperlicher, gefährlicher, der Tod, die Krankheit, der Wahnsinn sind die liebsten Themata des zurückgezogen lebenden Salzburgers.

„Der Atem“ ist die Geschichte eines Krankenhausäufenthaltes des kaufmännischen Lehrlings Thomas Bernhard. Eine Lungenentzündung mit psychischer Ursache. Eine Reaktion auf die Krankheit des Großvaters, des einzigen Menschen, zu dem Bernhard ein Nahverhältnis hatte. Beide werden knapp nacheinander ins Krankenhaus eingeliefert. Bernhard als Todeskandidat, den Schwestern und Ärzte schon aufgegeben haben. Man legt ihn ins „Sterbezimmer“, doch er weigert sich zu sterben, weigert sich, „zu atmen aufzuhören“. Der aufmerksame Leser versteht nun auch den Titel „Atem“ des Buches; als Symbol für Leben, für die Weigerung, zu sterben.

Doch Bernhard sieht und beschreibt, wie andere Menschen zu atmen aufhören, wie sie urplötzlich „nicht mehr da sind“, distanziert minutiös beschreibt er deren letzte Minuten. „Jeder ist anders, jeder lebt anders und jeder stirbt anders“ heißt es einmal. Ein Spruch mit philosophischem Tiefgang, wie alles bei Bernhard. Auch Banales wird zur Metaphysik hinaufstilisiert, sobald die Feder Bernhards im Spiel ist. Scheinbarer Tiefgang. Das Resultat seiner Beobachtungskonstruktionen sind monoton schleichende Sätze, die leiernd immer um dasselbe kreisen, die Perspektive wechseln, Gesagtes in hundert Variationen umformen, ohne daß neue Aspekte sich ergeben. Der Triumph eines vordergründigen Formalismus. Die Substanz geht dabei verloren. Bernhard kopiert nur noch sich selbst. Die Distanz, die er durch seine gekünstelte Sprache gewinnen will, erweist sich als Schein, als Alibi für nichtein-gestandenen Narzißmus.

Und Bernhard nähert sich bedenklich dem Klischee, wenn er etwa die Ärztevisiten beschreibt oder sich über die Berufseinstellung der Krankenschwestern ergeht. Was früher als stilistische Eigenheit und revolutionäre

Originalität verstanden wurde, entpuppt sich mehr und mehr als Schablone, als klischierte Selbstdarstellung. Bernhards Schreibstil ist zu seiner eigenen Mode geworden, zu einem bequemen Raster, den er mit Banalitäten füllen kann. Eine oberflächliche Spielerei, deren Begrenztheit sich immer deutlicher erweist.

Bernhard ist meiner Ansicht einer der überschätztesten Autoren der letzten Jahre. Die Literaturkritik hat es kaum gewagt, ihr Unbehagen über Bernhards Leidenspose, die dann zur Stilpose verflachte, zu artikulieren. Ihn jetzt vom Elfenbeinpodest herunterzuholen, ist bedeutend schwieriger. Der selbstgefällige, leidende, im selben Moment gegen seine Krankheit ankämpfende Bernhard; der Aufguß einer jahrhundertealten Binsenweisheit. Wahnsinn und Krankheit verflachen zu vordergründigen, verewigten Fakten, die der geniale Bernhard als Erster thematisiert haben will. Im Mi-netti- Vorwort behauptet eres. Deshalb spart er auch nicht mit philosophischen Banalitäten wie „Sie waren gegen seine Krankheit, weil sie überhaupt gegen meine Liebe zum Großvater gewesen waren“ oder „Wir vergessen, daß das, was uns betrifft, ein Glücksspiel ist und enden dadurch in Verbitterung.“ Der ödipale Bernhard versucht sich in Freudimitationen. Nur, Freud hatte weit mehr Sprachkraft und Tiefgang als sein Epigone.

Fazit des Buches: Jeder ist anders, Thomas Bernhard ist es ganz besonders. Er hat die Entscheidung getrof-

fen, „nicht das, aber, sein Leben zu leben“ heißt es im Klappentext. Soll er. Aber wenigstens mit mehr stilistischer Sorgfalt. Sich zur Schau stellen, ist nicht schlecht, sich aber schlecht zur Schau zu stellen, ist ein literarisches Vergehen. Man wartet gespannt auf das nächste Bernhard-Elaborat. Vielleicht heißt es: „Mir ist der Atem ausgegangen“.

DER ATEM, Roman von Thomas Bernhard, Residenz-Verlag, Salzburg, 1978, 158 Seiten, öS 220,-.

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