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Anrennen gegen die Grenzen des Denkens

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Von Albert Einstein stammt der Satz, das Unverständlichste am Universum sei, daß man es verstehen kann. Diese für Einstein erstaunlichste Eigenschaft des Alls wurde auf vage Art Allgemeingut: Wir verstehen zwar keine seiner Gleichungen, wissen aber, daß sie das Weltbild der Physik völlig verändert haben.

Erklären können es uns am ehesten jene wenigen, die es selber verstanden haben — sofern sie erklären können. Nur dem Verfasser der „Principia Mathemati-ca“, Bertrand Russell, gelang es, die spezielle Relativitätstheorie ohne Mathematik darzustellen.

Auch George Greenstein, der für sein Buch „Der gefrorene Stern“ den US-Preis für das beste naturwissenschaftliche Sachbuch des Jahres 1984 bekam, ist Forscher. Er beschreibt eigene Arbeiten über die Reibung der im Inneren von Pulsaren vermuteten, dort vermutlich viskositätsfrei und in sich reibungslos rotierenden Supraflüssigkeit mit der vermutlich festen Schale der Pulsare. Hat er recht, sind damit plötzlich Rotationsbeschleunigun-gen dieser Sterne erklärt. Er ist bescheiden genug, offenzulassen, ob er recht hat.

Sein Buch handelt von Pulsaren (Sternen, die stoßweise Radiowellen aussenden) sowie von den derzeit „populärsten“ Objekten im All, den Schwarzen Löchern. Es sind verwandte Objekte. Jeder Himmelskörper, dessen Masse so groß und komprimiert ist, daß ihm auch mit Lichtgeschwindigkeit nicht zu entkommen ist, ist ein Schwarzes Loch.

Pulsare bestehen als „Neutronensterne“ aus so verdichteter Materie, daß jeder Kubikzentimeter eine Masse von Millionen Tonnen hat. Ein Neutronenstern mit der Masse der Sonne hätte nur acht Kilometer Radius. Auf 2,8 km Radius zusammengepreßt, wäre sie ein Schwarzes Loch. Die Erde wäre in diesem Zustand 1,5 cm klein.

Viele Beobachtungsergebnisse und Berechnungen weisen auf die Existenz solcher Materie hin. Die Konsequenzen machen Physikern die Grenzen der Mathematik, Mathematikern wie Laien die Grenzen menschlichen Verstehens bewußt. Physik ist heute Anrennen gegen solche Grenzen mit den Mitteln der Mathematik. Greenstein macht mit den Theorien des wohl genialsten lebenden Mathematikers, Stephen Hawkins, bekannt. Gelähmt, unfähig, einen Bleistift zu halten, konfrontierte er die Fachwelt mit Untersuchungen, wonach

Schwarze Löcher sehr wohl Strahlung abgeben: Große würden dadurch in zig Milliarden Jahren nur ein Gramm verlieren, kleine könnten schon verschwunden sein, und solche von der Größe eines Elementarteilchens würden eine Gammastrahlung von einer Milliarde Watt aussenden.

Hawkins zog zum ersten Mal Relativitätstheorie und Quantenmechanik, die bisher beziehungslos nebeneinander existierten, zur Lösung eines Problems heran. Der physikalische Determinismus bekam den dritten schweren Schlag in diesem Jahrhundert.

Kapitulieren muß der Verstand vor Ereignishorizonten, die, geschieden durch Barrieren totaler Unüberbrückbarkeit, den Sturz eines Objekts in ein Schwarzes Loch auf der einen Seite mit Lichtgeschwindigkeit ablaufen, auf der anderen aber die ganze Lebenszeit des Universums lang dauern lassen: eingefrorene Stürze ins Nichts. Nur der Alltag des kommerziellen Verwurschtens tut sich leicht und findet ein billiges Fressen: Science ficti-on überwindet alle Hürden der Relativität.

DER GEFRORENE STERN. Von George Greenstein. Econ Verlag, Düsseldorf 1985. 350 Seiten, Fotos, Skizzen, Ln., öS 296,-.

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