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Anstand bis zum Untergang

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In den letzten Jahren wird der Büchermarkt mit Memoiren, Analysen und Berichten verschiedener Ostblock-Dissidenten ständig angereichert. Einer der interessantesten Beiträge sind dabei zweifelsohne die Memoiren des ehemaligen Polizeipräsidenten von Budapest, Oberst Sändor Kopäcsi, die letzte Woche unter dem Tiel „Die ungarische Tragödie” auch in Deutsch erschienen sind.

Dabei wird der Werdegang eines aus alter kommunistischer Familie kommenden Arbeiters vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zu seiner 1975 erfolgten Emigration nach Kanada beschrieben. Kopäcsi machte vorerst eine große Karriere unter dem neuen Regime, gab es in Ungarn zu jener Zeit doch verhältnismäßig wenig verläßliche Arbeiterkader.

Beim Ausbruch der ungarischen Revolution von 1956 hielt Oberst Kopäcsi zum reformkommunistischen Regime Imre Nagy. Er wurde verhaftet, von der sowjetischen und ungarischen Geheimpolizei festgehalten und für den großangelegten Schauprozeß gegen das Führungsteam um Imre Nagy präpariert. Nagy und Verteidigungsminister Päl Malėter wurden bei diesem Prozeß zum Tode verurteilt und hingerichtet, andere Mitangeklagte kamen mit langjährigen Haftstrafen davon.

Erst in den sechziger Jahren kamen die verschiedenen Häftlinge frei und wurden mit Ausnahme Kopäcsis rehabilitiert. Aber Kopäcsi war der einzige dieser Gruppe, dem es schließlich gelang, in den Westen zu emigrieren.

Sein Buch bringt außer sehr interessanten Charakterisierungen auch jetzt noch in Spitzenpositionen befindlicher ungarischer und sowjetischer Spitzenpolitiker wie Jänos Kä- där, des sowjetischen KGB-Chefs Juri Andropow oder ZK-Mitgliedes Boris Bonomariew, auch bis jetzt unbekannt gewesene Fakten über den Nagy-Prozeß, den Mord an Geza Lo- sonczy und das Verhalten des Gerichts und der Angeklagten beim Schauprozeß.

Abgesehen von diesen vielen detai- lierten Tatsachen unterscheidet sich Kopäcsis Buch von vielen anderen Werken dieser Art durch den wahren Humanismus und den Anstand des Autors. Denn er hatte sich im Gegensatz zu fast allen anderen hochgestellten Funktionären des Regimes, die unter die Räder der politischen Schauprozesse geraten waren, nicht nur Gedanken über seine eigene Unschuld gemacht:

Ihm war es während seiner ganzen Tätigkeit bewußt, daß an vielen Nichtkommunisten sowie Sozialisten, nicht nur der Gruppe Läszlö Rąjk, ein eklatantes Unrecht geschehen war und daß im Namen der Arbeiterklasse Justizmorde, Verfolgungen und Plünderungen verübt worden waren.

Was Kopäcsi mit vielen anderen verband, war sein unerschütterlicher Glaube an die Richtigkeit und die Gerechtigkeit der kommunistischen Idee. Erst die sowjetische Intervention gegen das Regime Nagy erschütterte seinen Glauben an den Kom- munisus endgültig.

Kopäcsi ist ein einfacher Mensch ohne intellektuelle Anspruch. Er beschreibt einfach und klar, was er fühlte und zu welchen Schlußfolgerungen ihn die Ereignisse rund um das kommunistische System - die absolute Unterordnung unter die sowjetischen „Ratgeber”, das blutige Ende der ungarischen Revolution und die darauffolgende Repression - schließlich führten.

Es ist für einen objektiven und ideologisch nicht festgelegten Beobachter aber doch erstaunlich, wie lange der Glaube an den Komunis- mus dauern kann - trotz des Wissens um seine verbrecherische Natur. Und erstaunlich ist, daß die „Gläubigen” bei all dem auch noch ihren menschlichen Anstand bewahren können.

Ein anderes Phänomen kann man beim Studium dieses und ähnlicher Bücher ebenfalls feststellen: Daß trotz marxistischer Schulung in diesem System das Denken der einfachen Menschen, aber auch der Gebildeten, eine Tendenz zur Verprovinzialisie- rung aufweist. Nur ganz selten werden Parallelen zu Ereignissen in den anderen Ländern des kommunistischen Machtbereichs bewußt angeführt. Vielmehr wird die Realität, schlicht als eine ungarische oder tschechoslowakische angesehen.

Viele der Techniken des Überli- stens und Entwaffnens des Gegners haben sich nicht geändert. Kopäcsi beschreibt im Detaü, wie das sowjetische Kommando mit der ungarischen Führung verhandelte, wie alle möglichen Versprechungen gemacht wurden - eben bis zu dem Punkt, an dem die Sowjets zur definitiven Vernichtung überschritten. Daraus ergeben sich zwangsläufig prinzipielle Fragen über die Natur und den Ursprung dieser Vertrags- und Wortbrüchigkeit des sowjetischen Regimes. Viele wichtige politische Fragen dieser Art können aus Kopäcsis Buch abgeleitet und daraus gelernt werden.

DIE UNGARISCHE TRAGÖDIE. Wie der Aufstand von 1956 liquidiert wurįe. Von Sändor Kopäcsi. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1979, 326 Seiten, öS 296,40.

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