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Anstatt die Ausgaben zu bremsen: Problemkosmetik wird fortgesetzt

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Das sogenannte „Maßnahmenpaket“ der Regierung enthält auch eine Reihe finanzieller Maßnahmen, für den Bereich der Sozialversicherung. Sie sind im „Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 1977“ enthalten. Es geht hier vor allem um die Einführung eines Zusatzbeitrages von zwei Prozent zur Pensionsversicherung, um die Schaffung eines zentralen Ausgleichsfonds der Pensionsversicherungsträger sowie um die Überweisung von Mitteln der Arbeitslosenversicherung an die Pensionsversicherung.

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Das sogenannte „Maßnahmenpaket“ der Regierung enthält auch eine Reihe finanzieller Maßnahmen, für den Bereich der Sozialversicherung. Sie sind im „Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 1977“ enthalten. Es geht hier vor allem um die Einführung eines Zusatzbeitrages von zwei Prozent zur Pensionsversicherung, um die Schaffung eines zentralen Ausgleichsfonds der Pensionsversicherungsträger sowie um die Überweisung von Mitteln der Arbeitslosenversicherung an die Pensionsversicherung.

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In der Krankenversicherung wird unter anderem die Höchstbeitragsgrundlage von bisher zwei Drittel, auf drei Viertel, der Höchstbeitragsgrundlage der Pensionsversicherung angehoben und die Rezeptgebühr von 6 auf 15 Schilling erhöht. Außerdem sind 3,75 Prozent der Krankenversicherungsbeiträge von den Krankenkassen an den Ausgleichsfonds beim Hauptverband zu überweisen und für künftige Zwecke der Spitalsfinanzierung Vorbehalten. Schließlich wird auch der Arbeitslosenversicherungsbeitrag von zwei auf 2,1 Prozent erhöht

Anstatt endlich eine Kurskorrektur des Sozialsystems in Angriff zu nehmen und den Hebel bei den Ausgaben anzusetzen, wird also jener Weg fortgesetzt, der sich bereits in der Vergangenheit als falsch erwiesen hat: die großen strukturellen Probleme - etwa auf dem Spitalssektor- läßt man ungelöst, neue Einnahmen werden erschlossen. Und das im Rahmen eines Maßnahmenpaketes, das neben einer Entlastung des Bundeshaushalts eine Verbesserung der Zahlungsbilanzsituation zum Ziel hat. Als ob ein weiterer Kostenschub bei den ohnehin schon überhöhten Arbeitskosten die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft verbessern würde! Für die Maßnahmen in der Sozialversicherung gilt somit die gleiche Kritik wie am gesamten Maßnahmenpaket der Regierung: Es kommt zu einer weiteren Verschärfung der Belastung, ohne daß die Ausgabenseite der Sozialversicherung einer Revision unterzogen wird.

So findet die seit Jahren überfällige Reform der Krankenversicherung wieder nicht statt. Man wich neuerlich der Frage aus, welche Leistungen im Hinblick auf die gewandelten Bedürfnisse der Versicherten und die begrenzten finanziellen Mittel, die zur Verfügung stehen, von der sozialen Krankenversicherung erbracht werden sollen. Denn es geht heute nicht darum, daß die Krankenkassen möglichst viele Leistungen erbringen und dem einzelnen auch jedes kleinste Risiko abnehmen, sondern die Krankenversicherung sollte nur jene Leistungen umfassen, für die ein sozialer sowie medizinischer Bedarf besteht und die im Sinne des Subsidiaritätsprinzips sowie der Selbsthilfe vom einzelnen nicht selbst getragen werden können.

Statt diese problematischen Fragen endlich zu lösen, wurden neuerlich nur kurzlebige finanzielle Krücken für die Krankenkassen geschaffen. Die zu Beginn des heurigen Jahres über Initiative von Sozialminister Weißenberg durchgeführten Beratungen über eine Kostenbremse in der Krankenversicherung waren offensichtlich umsonst. Denn für eine Beitragserhöhung, eine Anhebung der Rezeptgebühr und eine Kostenverschiebung auf dąn Familienlastenausgleich hätte es nicht monatelanger Expertenberatungen bedurft. Der Sozialministef, der selbst vor einem Jahr die „Stunde Null der Krankenversicherung“ ausgerufen und auf die Notwendigkeit hingewiesen hat, die Kostenentwicklung (insbesondere im Spitalsbereich) in den Griff zu bekommen, hat also nunmehr, wie schon sein Amtsvorgänger nach der Krankenversicherungsenquete des Jahres 1971, die Beratungsergebnisse im wesentlichen zur Seite geschoben oder die von ihm angekündigten bilateralen Gespräche mit den Interessensvertretungen nicht gesucht. Statt dessen hat er den Weg des scheinbar geringsten Widerstandes in Form der Erschließung neuer Einnahmen gewählt. •

Dieser Weg ist falsch! Es kann bereits jetzt vorausgesehen werden, daß die Krankenkassen in zwei oder drei Jahren wieder in die roten Zahlen kommen werden. Denn für eine langfristige finanzielle Absicherung ist eine Bremse auf der Ausgabenseite notwendig, gerade bei den Spitälern. Außerdem sollte für echte Härtefälle ein soziales Fangnetz geschaffen werden, um in weiterer Folge die Krankenversicherung von einer Reihe überholter Gießkannenleistungen entlasten zu können.

Mit Außnahme der einseitigen Belastung auf dem Medikamentepsektor durch Anhebung der Rezeptgebühr wurde auch ein verstärkter Selbstbehalt nicht realisiert. Ein solcher wäre aber angesichts der zunehmenden verhaltensbedingten Gesundheitsschäden sozial gerechtfertigt und ge- sundheitspädagogisch richtig. Es würden durch die damit ermöglichte Stabilisierung der Beiträge jene Versicherten, die sich gesundheitsbewußt verhalten, von ständig steigenden Beitragsbelastungen verschont.

Eine ähnliche Kritik güt auch für den Bereich der Pensionsversicherung im Zusammenhang mit der Senkung des Beitrages zum Familienlastenausgleich von sechs auf fünf Prozent. Auch für diese Maßnahmen fehlen flankierende Maßnahmen auf der Ausgabenseite. Ohne gleichzeitige Einsparungen bei den Ausgaben, dafür bieten sich vor allem die Sozialgeschenke der letzten Jahre (Geburtenbeihilfe, Gratisschulbücher, Schülerfreifahrten) an, werden die derzeitigen Reserven des Familienlastenausgleichsfonds in etwa zwei bis drei Jahren aufgebraucljit und somit neuerlich finanzielle Maßnahmen notwendig sein. Es wird also weder für eine gezielte Familienförderung aus dem Familienlastenausgleich gesorgt, noch ist die Beitragssenkung auf der Ausgabenseite entsprechend abgesichert.

Ein weiterer Schwerpunkt der Kritik muß sich gegen die präjudiziellen gesellschaftspolitischen Weichenstellung richten. Im Vordergrund steht hiebei der Abgang von der bisher praktizierten Beitragsparität in der Pensionsversicherung. Schließlich hat die Koppelung der Beitragserhöhung in der Pensionsversicherung mit der Senkung des Beitragssatzes zum Familienlastenausgleich zur Konsequenz, daß künftig die Dienstgeber um einen Prozentpunkt mehr an Pensionsversicherungsbeitrag, als die Dienstnehmer zu entrichten haben. Es handelt sich dabei ganz offensichtlich um ein klassenkämpferisches Experiment, das darauf abzielt, die Defizite der Sozialversicherung auf die Dienstgeber abzuwälzen.

Ein weiteres Präjudiz wurde im Bereich der Spitalsfinanzierung geschaffen. Die Überweisung von 3,75 Prozent der Krankenversicherungsbeiträge an den Ausgleichsfonds beim Hauptverband und ihre Verwendung für künftige Zwecke der Spitalsfinanzierung stellt einen Ansatz für einen zentralen Spitalsfonds dar, mit dem es mittel- und langfristig zu einer Zentralisierung des Spitalswesens sowie zu einer Entmündigung der Selbstverwaltung der Krankenkassen im Spitalsbereich kommen könnte.

Abschließend sei eines betont: Die soziale Sicherheit ist ein fundamentales Anliegen der gesamten Bevölkerung. Hier ist kein Platz für „finanzielle Kurpfuscherei“ und klassenkämpferische Experimente. Die soziale Sicherheit muß vielmehr als Basis unseres sozialen Friedens und unserer politischen Stabilität erhalten bleiben. Dies erfordert eine langfristige finanzielle Absicherung der Sozialversicherung, die aber nicht von der Einnahmeseite her, sondern nur durch eine Strukturreform bei den Ausgaben erreicht werden kann.

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