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Antiklerikale Konspiration

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Adolf Schärf spekulierte mit einer „antiklerikalen“ Mehrheit im Nationalcat. Deshalb knüpfte er zum „Verband der Unabhängigen“ zarte Bande. Ein Nazi vermittelte.

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Adolf Schärf spekulierte mit einer „antiklerikalen“ Mehrheit im Nationalcat. Deshalb knüpfte er zum „Verband der Unabhängigen“ zarte Bande. Ein Nazi vermittelte.

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Es ist etwas Eigenartiges, ja Tragisches um den österreichischen Liberalismus! Nach seinem eruptionsartigen Durchbruch im März des Völkerfrühlings 1848 begann er noch im gleichen Jahr einen verhängnisvollen Flirt mit dem deutschen Nationalismus. Uber den Deutschliberalismus und Nationalliberalismus führte sein Weg. Er endete genau dort,wo es Franz Grillparzer prophezeit hatte: Von der Liberalität über die Nationalität in die Bestialität!

Jeder Versuch der Wiedergeburt einer von allen historischen Schlacken gereinigten, auf den Grundsätzen eines modernen Liberalismus basierenden politischen Gruppierung scheiterte bisher hierzulande stets. Das kam exemplarisch am Leben und politischen Wirken von Herbert Kraus zum Ausdruck, dessen „Politische Erinnerungen 1917-1987“ nunmehr in Buchform vorliegen.

Herbert Kraus? Das war doch jener Salzburger Publizist, der vor 40 Jahren am Vorabend der Nationalratswahl des Jahres 1949 den damals in bürgerlichen Kreisen yehement angemeldeten Wunsch nach Gründung einer „vierten Partei“ wagte und mit dem von ihm und Viktor Reimann geführten „Verband der Unabhängigen“ (VdU) als „Wahlpartei der Unabhängigen“ auf einen Schlag 16 Mandate den beiden historischen Parteien ÖVP und SPO abjagte.

Dieser VdU sollte nach Wunsch und Willen seiner Inspiratoren ganz etwas Neues sein. Liberal, das heißt, aufgeschlossen nach allen Seiten, österreichisch, aber bereit, die sogenannten „kleinen Nazis“ wieder in die Gemeinschaft aller Staatsbürger zurückzuführen und sie nicht zu einer neuen „Germania irredenta“ werden zu lassen. Letzteres gelang, mehr oder weniger—aber um welchen Preis!

Meter um Meter wurde der Weg zurück angetreten zum ebenfalls historischen „dritten Lager“ der österreichischen Innenpolitik. Dessen bis heute bewahrte Farbensymbolik „blau“ leitet sich bezeichnenderweise von der Lieblingsblume Otto von Bismarcks, der blauen Kornblume, ab. Bis dieser Rückschritt in den Deutschnationalismus offenkundig wurde, brauchte es freilich seine Zeit.

Zunächst geriet man zum Spielball zwischen den beiden Großen, und zwar war fürs erste „Rot“ am Zuge. Die Rolle, welche der damalige sozialistische Innenminister Oskar Helmer als „Geburtshelfer“ des VdU spielte, ist von ihm selbst einbekannt und heute Gemeingut der Zeitgeschichte. Unbekannt geblieben ist jedoch, daß zuvor niemand anderer als der damalige sozialistische Parteiobmann und Vizekanzler Adolf Schärf persönlich den neuen Männern auf den Zahn fühlte.

Kraus berichtet in dem vorliegenden Buch (Seite 215) von einem durch die Vermittlung des damals im Dienste des CIC (Vorgänger-Organisation des CIA) stehenden „gesinnungstreuen Nationalsozialisten“ (!) Erich Kernmayer arrangierten Kontaktgesprächs am 8. April 1949 in einem Linzer Vorstadthotel. Dort enthüllte Schärf seinen Gesprächspartnern Kraus und Reimann unter anderem auch seine notorische Abneigung gegen alles Katholische und seine Hoffnung auf eine kommende „antiklerikale Mehrheit“ im Nationalrat. Auch sollte auf Umwegen, nämlich mit Hilfe der Kirchensteuer, die Masse der Tauf scheinkatholi-ken der Kirche abspenstig gemacht werden. Eine Hoffnung, die erst Jahrzehnte später zum Tragen kam, ohne daß man - nebenbei bemerkt -, bis heute von Seiten der kathoüschen Hierarchie aus einer oft kleinlichen Rechenstiftgesinnung heraus dieser Gefahr der schleichenden Ent-christlichung Österreichs zu begegnen weiß.

Kraus und Reimann waren 1949 die Männer der Stunde. Sie, die ohne Zweifel von idealistischen Motiven bewegt waren, bildeten jedoch einen guten Paravent für die Sammlung des „deutschnationalen Lagers“ mit gelegentlich freiheitlichen Einsprengseln. Später brauchte man diesen Schutzschild nicht mehr. Die „nationale Opposition“, die sich Kraus' behutsamen Umerziehungsvorstellungen stets widersetzt hatte, formierte sich. Schlüsselfigur wurde hier der Wiener Apotheker mit Berufsausübungsverbot: Emil van Tongel.

Jetzt war es an der ÖVP, eine bis heute nicht restlos geklärte Rolle bei der Gründung der sogenannten „Freiheitspartei“ zu spielen, die den VdU spaltete und aus der später die FPÖ hervorgehen sollte. Die Memoiren von Kraus liefern hier illustrative Streiflichter auf die damals äußerst diffuse politische Szene.

Für Herbert Kraus und engere Gesinnungsfreunde bedeutete diese Mutation das politische Ende. Es war aber auch das sich später noch einmal wiederholende „Aus“ für den Versuch, einen österreichischen Liberalismus zu instrumentieren.

Uber diesen bedeutsamen Beitrag zur Parteigeschichte der Zweiten Republik vermittelt das vorliegende Buch die nähere Bekanntschaft mit einer interessanten, nun bereits im achten Jahrzehnt des Lebens stehenden Persönlichkeit, deren Hang zu „Objektivität“ nicht nur dem Dritten Reich als „untragbar“ erschien, sondern die sich auch später mitunter als nicht gerade erfolgsfördernd erwies. Immer dann, wenn Herbert Kraus im Gegensatz zu den „Göttern des Tages“ stand.

Ein Grund mehr, dem Menschen und Publizisten Kraus die Achtung und den persönlichen Respekt zu bezeugen, auch dann, wenn man von allem Anfang an dem von ihm einst gewählten politischen Weg mit Reserven gegenübergestanden ist.

UNTRAGBARE OBJEKTIVITÄT. Politische Erinnerungen 1917 bis 1987. Von Herbert Kraus. Amalthea Verlag, Wien 1988. Ln„öS 290,-.

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