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Antimarxistisdie Kälte

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Die Beobachter der lateinamerikanischen Außenpolitik meinen, daß der Halbkontinent sich auf der weltpolitischen Bühne im Schlepptau der USA bewege. Wie anfechtbar diese Auffassung ist, zeigt sich in der jetzigen Schwenkung Lateinamerikas zum Antimarxismus. Während die USA und Westeuropa auf Entspannungskurs gegenüber dem Osten steuern, scheint Lateinamerika zum kalten Krieg zurückzukehren.

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Die Beobachter der lateinamerikanischen Außenpolitik meinen, daß der Halbkontinent sich auf der weltpolitischen Bühne im Schlepptau der USA bewege. Wie anfechtbar diese Auffassung ist, zeigt sich in der jetzigen Schwenkung Lateinamerikas zum Antimarxismus. Während die USA und Westeuropa auf Entspannungskurs gegenüber dem Osten steuern, scheint Lateinamerika zum kalten Krieg zurückzukehren.

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Seit der Revolution von 1964 hat die brasilianische Militärregierung scharf gegen die „Kommunistische Gefahr“ mit allen Repressionsmitteln Stellung genommen. Ebenso ist für den paraguayischen Präsidenten General Alfredo Stroessner der Kommunismus ein rotes Tuch; im Gegensatz zu fast allen anderen lateinamerikanischen Ländern unterhält er auch keine diplomatischen Beziehungen zu Moskau. In Bolivien hat der Militärpräsident General Hugo Banzer das vorherige Regime des Generals J. J. Torres mit der Begründung gestürzt, es sei kommunistisch unterwandert. Bis vor kurzem war die Kommunistische Partei in Chile und Kuba an der Macht; in Kolumbien, Uruguay und Venezuela arbeitet sie völlig legal. In Argentinien ist sie im Mai 1973 von Peröns Statthalter Cämpora offiziell zugelassen worden.

Innerhalb weniger Wochen hat sich nun das Panorama völlig ver-

ändert. In Uruguay hatte der Präsident Juan Maria Bordaberry schon vor der Auflösung des Parlaments und der Einführung der Zensur einen harten antikommunistischen Kurs eingeschlagen. Zwar ist die KP bisher nicht für illegal erklärt worden, aber die Führer der „Breiten Front“, deren Kern sie bildete, sind ebenso wie die des von ihr beeinflußten Gewerkschaftsdachverbandes „CHT“ als politische Gefangene interniert oder im Untergrund. Ihre Zeitung „El Populär“ wird laufend verboten. Der uruguayische Außenminister Dr. Juan Carlos Blanco hat auf der Generalversammlung der UN und in New Yorker Verhandlungen mit OAS-Kreisen die antikommunistische Haltung der uruguayischen Regierung betont und allen Bestrebungen widersprochen, die panamerikanischen Sanktionen gegen Kuba aufzuheben. Durch gesetzliche und verwaltungsmäßige Maßnahmen soll der starke Einfluß der KP bei den Gewerkschaften und im Erziehungswesen, vor allem auch auf der Universität, beseitigt werden. Die Haltung Uruguays ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil dieser Staat, fast gleichzeitig mit Mexiko, als erster nach dem Kriege die Beziehungen zu Moskau wieder aufnahm.

Durch die schweren Erschütterungen, die der Terrorismus der „Tupa-maros“ mit sich brachte, wurde die Position der Moskauer Botschaft und der KP zwar geschwächt, aber nicht entscheidend gefährdet, weil sie von den Guerilleros abrückten und sie als „Abenteurer“ bezeichneten.

In den letzten Jahren hatte die Wahl Allendes Santiago zur kommunistischen Zentrale in Lateinamerika gemacht. Die KP beherrschte die Innenpolitik, das Bündnis mit Havanna und Moskau

die Außenpolitik des Landes. Durch den Militärputsch haben ' sich die Herrschaftsverhältnisse in die entgegengesetzte Richtung entwickelt. Moskau hat, wie die anderen Ostblockstaaten, die Beziehungen abgebrochen; die kommunistischen Führer werden als „politische Verbrecher“ steckbrieflich gesucht und vor Militärgerichte gestellt.

Durch die Wendung in Chile kommt der kommunistischen Position in Argentinien besondere Bedeutung zu. Im Gegensatz zu den anderen lateinamerikanischen Staaten hat der Peronismus politische Kräfte der verschiedensten Orientierungen zusammengeführt. Bezeichnend für die sich hieraus ergebende Spannung waren die blutigen Zusammenstöße bei Peröns Landung. „Für ein peronistisches Argentinien“ schrien die Gemäßigten, „Für ein sozialistisches Argentinien“ die Radikalen. Die Kommunistische Partei hielt Distanz zum Peronismus. Auf dem 14. Nationalkongreß, dem ersten, den sie nach 27jähriger Illegalität Ende August in Buenos Aires abhalten konnte, legte der Generalsekretär Jerönimo Alvarez einen Bericht vor, in dem er die Politik Peröns die Politik der nationalen Versöhnung nannte. Die Partei beschloß, im Gegensatz zu ihrer frü-

heren Haltung, am 23. September für Perön zu stimmen. Die „antimarxistische Welle“, die augenblicklich Argentinien beherrscht, ist nicht von der KP, sondern von den linksradikalen Kreisen innerhalb des Peronismus und dem trotzkistisch-leninistischen „ERP“ (Ejereito Revo-lucionario del Pueblo“ — „Revolutionäres Volksheer“) ausgelöst worden. Cämpora hatte unter dem Druck größter Demonstrationen noch in der Nacht der Regierungsübernahme, am 25. Mai, alle politischen Gefangenen aus den Gefängnissen entlassen, während gleichzeitig der Kongreß — mit peronistischer Mehrheit — eine allgemeine Amnestie besohloß. Cämpora hatte Schlüsselpositionen, vor allem das Innen-, das Außenministerium und das Rektorat der Universität, Vertretern der linken Kreise übergeben, aus denen Perön sie in-

zwischen vertreiben ließ. Perön verhandelte mit der „Peronistischen Jugend“ und den ihr angeschlossenen „Spezialformationen“, den „Montoneros“ und den „FAR“ („Fuerzas Armadas Revolucionä-rias“ — „Bewaffnete Revolutionskräfte“). Inwieweit es ihm gelungen ist, diese Guerillagruppen auf die

Dauer zu kooperativen Parteizellen umzufunktionieren, läßt sich noch nicht übersehen. Zu den amnestierten Freischärlern gehörte aber auch der „ERP“, der später an der großen Demonstration gegen die chilenische Revolution vor dem Kongreßgebäude mit Spruchbändern und Abzeichen offen teilnahm. Er stellte seine terroristische Tätigkeit nicht ein. Etwa zwei Entführungen täglich, bei denen er Millionen Dollar Lösegeld erbeutete, gingen auf sein Konto. Zahlreiche Attentate hielten Argentinien in Atem. So wurde im August der Generalsekretär des Ge-werkschaftsdachverbandes „CGT“ in Mar del Plata, Marcelino Mansilla, erschossen. Im September griffen die Guerilleros das Sanitätszentrum des Heeres in Buenos Aires an und ermordeten seinen Chef, Oberst Raul Duarte Arday. Nunmehr erklärte die

peronistische Regierung den „ERP“ für illegal. Den Höhepunkt der Spannung bildete die Ermordung des Präsidenten der „CGT“, Jose Rucci, der zu dem engsten Kreise Peröns gehörte und die gemäßigte Richtung des Peronismus führte. Ob der „ERP“ für die Tat verantwortlich ist, steht nicht fest, wird aber angenommen.

Nunmehr warf Perön das Steuer herum. Er hatte zwar selbst einen großen Anteil an der ideologischen Verwirrung; er verlangte jetzt eine scharfe Scheidung der Geister zwischen „Peronisten“ und „Marxisten“ und ordnete scharfe Reinigungsaktionen an.

Die antimarxistische Wendung hat aber gleichzeitig außenpolitische Ursachen. Zwar hatte Perön gute Beziehungen zu „allen Staaten der Welt“ gepredigt, Fidel Castro gelobt und sogar eine Reise nach Peking vorbereitet. Cämpora hatte Kuba anerkannt, Argentinien war den „Blockfreien Staaten“ beigetreten. Perön hat bei dieser Gelegenheit seine außenpolitische Position dahin geklärt, daß er gleichzeitig den „nordamerikanischen Imperialismus“ und den „sowjetischen Imperialismus“ verurteilte, eine Zwischenstellung, die er bei anderer Gelegenheit dahin erläuterte, daß er eben den Marxismus und den Kapitalismus gleicherweise ablehne. Auf der Algerienkonferenz bezeichnete Fidel Castro den Versuch, die „Blockfreien Staaten“ in Gegensatz zum sozialistischen Lager zu bringen, als „tief reaktionär“ und nannte die Haltung, wie sie Perön zum Ausdruck gebracht hatte, „gegenrevolutionär“. Ob der neue antimarxistische Kampf Peröns die Position der KP und die diplomatischen Beziehungen zu Moskau gefährdet, läßt sich noch nicht übersehen. Die Entwicklung in Uruguay, Chile und Argentinien deutet jedenfalls darauf hin, daß die Sowjetunion bei ihren Bemühungen, ihren Einfluß in Lateinamerika zu erweitern, einen entscheidenden Rückschlag erlitten hat.

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