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Antiquitäten von morgen

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Als man der Fürstin Pauline Metternich einst zu ihrem Geburtstag sagte, siebzig Jahre seien kein Alter, erwiderte sie: „Für eine Kathedrale nicht, wohl aber für eine Frau!“ Seither haben sich die Zeiten geändert, denn es wäre falsch anzunehmen, daß die Zeit selbst etwa nicht der Zeit unterliege. Vielleicht sind heute siebzig Jahre auch für eine Frau kein Alter mehr. Hingegen fangen Kathedralen schon wesentlich früher an, historische Würde zu zeigen und sich die Patina des Antiken einzuverleiben.

Wenn auf dem Kunstmarkt Richtungen, die früher zwei oder drei Jahrzehnte hätten vorhalten müssen, sich nur mehr für ebenso viele Jahre behaupten können, fällt die Unterscheidung zwischen unmodern und historisch immer schwerer. War nicht eben noch Pop-Art dran? Ach, sie ist bereits museumsreif geworden, wird katalogisiert und zu den Akten gelegt. Und was für die Kunst gilt, gilt erst recht für das Kunstgewerbe, für den Gebrauchsgegenstand.

Picasso, Matisse oder Braque, eben noch heiß umstrittene Revolutionäre, sind längst zu Klassikern geworden. Und ist es nicht eine schöne Folge der modernen Schnellebigkeit, daß so viele Künstler noch in die Lage kommen, ih-

ren eigenen Klassiker-Status zu erleben? So klassisch wie Strawinsky in seinem letzten Jahrzehnt war, so klassisch ist Beethoven zu seinen Lebzeiten nie gewesen.

Patina ist längst nicht mehr eine Frage von Jahrhunderten. Fast möchte man meinen, man bekomme sie in der nächsten Drogerie zu kaufen wie einen Möbellack oder einen Plastikanstrich.

Gewiß: die Dinge mit echter Patina behaupten trotzdem das Feld, was unter anderem daraus ersichtlich wird, daß man mit ihrer Hilfe allfälligen Käufern ganz hübsche Beträge aus der fasche locken kann.

Alte Uhren etwa, an denen man noch eine Zeit abgelesen hat, deren Stunden und Minuten vermutlich eine andere Dauer hatten als diejenigen auf unseren Flugzeugchronometern. Aber man denkt ja auch nicht mehr an den Gebrauchswert, wenn ein Gegenstand einmal zur Antiquität aufgerückt und somit bestimmt ist, unseren Wohnungen jene Legitimität zu verleihen, die sie ansonsten vermutlich nicht hätten.

Alte Barometer, lang und in Mahagoni eingelegt, sind besonders in England beliebte Einrichtungsgegenstände, auch wenn das schöne oder schlechte Wetter, das sie einst anzeigten, längst vergangen ist. Und natürlich Barockengel, jene von Patina geadelten Verwandten unserer Gartenzwerge, die aus den Kirchen mehr und mehr auswandern und dafür die Verpflichtung übernommen haben, Wohnungen zu schmücken, in denen ansonsten recht wenige Engel daheim sind.

Alte Spieldosen sind erst richtig

kostbar geworden, seit wir unseren Musikbedarf nicht mehr bei ihnen decken, sondern bei Kassettenrecorder und Plattenspieler, so daß die solcherart zweckentblößten Automaten in den Rang von Antiquitäten aufgerückt sind.

Altes Zeug, gestern noch nutzlos, wird im Wert gesteigert nach der Formel: „Aus alt mach’ antik!“ Und in dieser Hinsicht erweist unser Markt einen gesegneten Appetit.

Kohlenbügeleisen, Kinderwiegen, Petroleumlampen, kürzlich noch beinahe brauchbar und daher weniger geschätzt, erringen die Aura von kostbaren Dekorationsstücken und erzielen Preise, die ihrem neuen Rang entsprechen. Ist nicht vor unseren Augen ein regelrechter Markt für Autoveteranen entstanden?

Alte Vehikel, die zu jedermanns Erstaunen immer noch funktionieren, erzielen Liebhaberpreise, und die Kenner halten Ausschau nach besonders seltenen Modellen. Zu solcher Sammlerleidenschaft dürften sich unsere heutigen Fahrzeuge auch in naher Zukunft nicht eignen, denn die wurden von ihren Erzeugern von vorne herein so gebaut, daß sie über kurz oder lang einfach in sich zusammenfallen und die Nachfrage nach dem neuen Eintauschwagen nie ins Stocken gerät.

Dennoch kann man sich leicht ausrechnen, wie lange es noch dauern mag, bis unsere blitzblanken Gebrauchsgegenstände von heute die Patina von echten Antiquitäten aufweisen werden. Ein Fernsehapparat, frühe siebziger Jahre, wird dann ein preziöser Zimmerschmuck sein, weil niemand es sich mehr einfallen lassen wird, das kost

bare Dekorationsstück zu seinem eigentlichen Zweck zu verwenden.

Eine elektrische Schreibmaschine, letzter Schick von heute, würde dann - womöglich des besseren optischen Effekts halber rot und grün lackiert - an der Wand hängen. Eine Schmalfilmkamera, eine Rechenmaschine, ein Transistorradio: ergäben sie nicht alle schicke antike Einrichtungsgegenstände in der modischen Wohnung von morgen?

Es ist ein tröstlicher Gedanke, daß hier in aller Smartness der Kitsch der Zukunft herangezüchtet wird.

Und wenn auch unsere Autos kaum lange genug leben werden, um dermaleinst die Begierde von Sammlern zu erregen, haben doch möglicherweise Autobestandteile von heute eine Chance, zum Zimmerschmuck künftiger Generationen aufzurücken.

Ein Vergaser oder eine in kräftigen Farben lackierte Kurbelwelle würden jedem Salon von morgen Gemütlichkeit verleihen. Ein Verteiler oder eine Lichtmaschine aus den siebziger Jahren, womöglich querdurch aufgeschlitzt, wären ein romantisches Requisit in einem ansonsten vermutlich nicht sehr romantischen Wohnraum von 1990.

Alles ist antik - man muß es nur im rechten Augenblick ansehen. Und wenn die Menschen der künftigen Jahrhundertwende aus heutigen Staubsaugern Beleuchtungskörper machen und ihren Kaffee aus einer Verteilerbüchse unserer Autos trinken werden, dann werden sie ganz gewiß überzeugt sein, unsere Epoche sei ein Born der Gemütlichkeit gewesen.

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