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Antworten wieder gefragt

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Die Bildungspolitik gerät in Bewegung: Hunderttausende junge Franzosen demonstrieren gegen Regierungspläne, die Uni noch selektiver zu machen. In Deutschland entdeckt die Wissenschaft das „pädagogische Rad“ neu: Inhalte sind wichtig. Nur bei uns wird immer noch vom Abschaffen der Noten geredet.

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Die Bildungspolitik gerät in Bewegung: Hunderttausende junge Franzosen demonstrieren gegen Regierungspläne, die Uni noch selektiver zu machen. In Deutschland entdeckt die Wissenschaft das „pädagogische Rad“ neu: Inhalte sind wichtig. Nur bei uns wird immer noch vom Abschaffen der Noten geredet.

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Verflixt! Mit der neuen Burschen- und Mädchenherrlichkeit in der Schule ist's auch bald wieder vorbei. Es wird demnächst wieder „richtig“ gelernt werden müssen. Nicht bloß „exemplarisch“ und „punktuell“, im „Be-troffenheitsfall“ und „solidarisch“, immer aber „handlungs-orientiert“, sondern ganz nach alter Väter- und Mütter-Art, ganz so, wie es früher üblich war, einschließlich Auswendiglernen von Wörtern und Worten, Zahlen und Formeln.

Die schlimme Kunde kommt nun keineswegs von unverbesserlieh konservativen Unterrichtsministern. Sie rührt vielmehr von einem Gesinnungswandel bei Eltern und — ja auch — bei Schülern her, dem die Wissenschaftler des Dortmunder Institutes für Schul-entwicklungsforschung — zähneknirschend - auf die Spur gekommen sind.

In dieser Einrichtung an der Kohlenpott-Universität befaßt man sich seit vielen Jahren mit den Grundlagen sozialistischer Bildungspolitik.

Der Bildungssoziologe Hans-Günther Rolff, engagierter Vertreter der Gesamtschulidee, war schon als Assistent bei der Diskussion um den bundesdeutschen Bildungsgesamtplan dabei. Für ihn ist Bildungsforschung immer „handlungsorientiert“, und das heißt, sie ist von konkreter Bildungspolitik nicht zu trennen.

Das ist etwas, was den Heidelberger Erziehungswissenschaftler Felix von Cube schrecklich wurmt. Er ist der Ansicht, daß Bildungsforscher heute in der Mehrzahl frustrierte Bildungspolitiker sind und meint damit vielleicht den glücklosen, ehemaligen Hessischen Kultusminister von Friedeburg, dem eine Professur freilich ein gutes Auskommen sichert.

Er meint damit aber ganz sicher deutsche Erziehungswissenschaftler, die sich dem Modell der „Kritischen Pädagogik“ bzw. der „Emanzipatorischen Erziehungswissenschaft“ verschrieben haben und die in der bundesdeutschen Hochschulpädagogik über eine satte Mehrheit verfügen. Eine Mehrheit, die von Norden nach Süden freilich deutlich geringer wird.

„Kritische Pädagogik“, also eine Pädagogik, die als Weg zur individuellen Mündigkeit das permanente Hinterfragen von Bestehendem und die unentwegte Suche nach verborgenen Machtstrukturen sieht, ist als herrschende Doktrin längst durch die Lehrerstudenten in die Schule hineingetragen worden.

Dort wird sie demnächst, bedingt durch das allmähliche Ausscheiden von Lehrern mit „vorkritischer“ Lehrerausbüdung, zur Mehrheitsmeinung werden. Just zu einem Zeitpunkt, zu dem sie von Eltern und Schülern nicht länger goutiert wird.

Diese orientieren sich nämlich, so diemaßlos enttäuschten Dortmunder Bildungsforscher, heute wiederum verstärkt an klassischen Leitbildern. Der Schülerwitz „Müssen wir heute wieder kritisch hinterfragen oder dürfen wir endlich was lernen!“ ist nicht sehr weit von der Realität entfernt.

Was ist passiert, was hat sich geändert? Droht nach der Phase der „Kritischen Pädagogik“ nun eine „unkritische“? Das wäre fatal, aber das steht nicht zu befürchten.

Das, was heute passiert, ist nichts anderes als die Reaktion auf überzogene Aktionen, wie sie, das muß man aussprechen und niederschreiben dürfen, für die bundesdeutsche Bildungspolitik in den letzten Jahren charakteristisch war.

Wo ein Schwachpunkt im bestehenden System gefunden worden war, hatte man das Steuer herumgelegt, weniger als 180 Grad durften es in keinem Fall sein:

Man war mit dem Frontalunterricht mancher Lehrer nicht zufrieden. Flugs verordnete man den totalen Gruppenunterricht.

Die Schüler hatten bei manchen Lehrern nichts zu sagen. Also übte man gleich den „kollegial-kooperativen Führungsstil“ ein, der erzieherische Eingriffe nahezu unmöglich machte.

Mit Mathematik hatten manche Kinder Schwierigkeiten. Im Nu mußten alle Mengenlehre spielen — und verstanden überhaupt nichts mehr.

Kaum waren die Bildungsbe-auf sichtigten zur überraschenden Erkenntnis gekommen, daß Menschen miteinander gelegentlich Schwierigkeiten haben, schon wurde Konfliktpädagogik zum Credo politischer Bildung.

Als man erkannte, daß sich manche Menschen mit der eigenen und der fremden Hochsprache schwer taten, reduzierte man den Sprachunterricht eilig auf das Lernziel „kommunikative Kompetenz“, das schon erreicht war, wenn man dem anderen den Bedarf ah einem Zimmer mit Bad signalisieren konnte.

Schließlich halfen auch noch die Managementtrainer mit, von denen manche — aus welchen Gründen auch immer — auch heute noch der Meinung sind, es wäre möglich, Denkverfahren und Arbeitsmethoden ohne Inhalte zu vermitteln.

Daß das nicht funktioniert, weiß man heute — wieder! Man weiß auch, daß sich Kreativität nicht aus inhaltsleeren Gehirnen zaubern läßt. Aber weil's heute ein leibhaftiger Direktor eines Max-Planck-Institutes öffentlich ausspricht, deshalb ist die Chance groß, daß die neue alte Erkenntnis eines Tages auch wieder in der Lehrerbildung und eines etwas späteren Tages in der Schule ankommen wird.

Man bezeichnet das, was man sich durch Lernen in den Kopf tut, wozu es bekanntlich einiger Anstrengung bedarf, heute als „gut organisiertes Wissen“, und der Psychologe Franz Weinert fordert höflich auf, die „Vermittlungsmethode in Schule und Hochschule neu zu überdenken“.

Da brauchen die Kollegen gar nicht allzulange nachzudenken;

nachlesen genügt - oder Erinnern an die eigene Lernpraxis. Zum Erfahren von Informationen und zum Einsehen und Einordnen derselben übergeordneten Zusammenhänge muß das „Einprägen“ kommen.

Nur so wird Lernen vollständig. Denn was man vergessen hat, das kann man weder kreativ nutzen, noch kritisch.

Das, was sich jetzt — meist hochgestochen und oft holprig formuliert, wie es eben Wissenschaftlerart ist — zeigt, ist tatsächlich eine „Wende“: eine Wende hin zu dem, was ich „Positive Pädagogik“ nenne.

Das ist eine Pädagogik, die nicht nur Fragen stellt und das Fragenstellen lehrt, sondern die beharrlich und unermüdlich versucht, Antworten zu geben, und die lehrt, Antworten zu suchen, auch wenn man immer wieder bloß vorläufige oder gar „falsche“ findet.

Fragen zu stellen ist kritisch, und das ist ja auch gut. Antworten zu suchen ist positiv, und das ist — noch - besser.

Der Autor ist Professor an der Freien Universität Berlin und an der Universität Paderborn. ,

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