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Anwalt der Unterdrückten

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Dom Erwin Kräutler wurde vorige Woche seinem Ruf als unerschrockener Anwalt der indianischen Völker und ihres Lebensraums voll gerecht. Ein Vortrag in Wiener Neustadt und eine Predigt in Wien-Lainz gerieten auch zu einem Plädoyer für die Theologie der Befreiung.

Kräutler nannte klar die Dinge beim Namen, auf die diese Theologie antworten will, etwa „die Vernetzung institutioneller Ungerechtigkeit”, die weite Bevölkerungsschichten vom „ Festmahl des Lebens”, „zu dem alle Menschen von Gott in gleicher Weise eingeladen sind” (Sollici-tudo rei socialis, 39) ausschließe: „60 Millionen Brasilianer vegetieren dahin in einer absoluten Misere, fristen ihr Dasein in Fa-velas und Außenbezirken der Großstädte, schlafen unter Brük-ken und in Stadtparks, leben nicht, aber sterben auch nicht.”

Kräutler nannte das Hungerelend: „Während die Hälfte der Getreideernte weltweit für Viehfutter verwendet wird, leiden 700 Millionen Menschen Hunger, sterben täglich 50.000 Kinder an Hunger oder an den Folgen des Hungers. ”Er berichtete von der täglichen Erfahrung von Gewalt und Tod: Killerbanden töten mit dem Slogan „Wir säubern die Gesellschaft!” pro Woche Hunderte Menschen, machen Jagd aufheimat- und elternlose Straßenkinder, deren es in Brasilien rund sieben Millionen gibt.

Kräutlers Zuhörer bekamen eine Vorstellung vom dauernden Auf-der-Flucht-Sein der Siedler, von der Vertreibung der Bauern von Grund und Boden, vom Rassismus, „der alles, wasnichtdem weißen Schema entspricht, also Neger und Indianer, diskriminiert”) vom „Sexismus, der die Frau unterdrückt, sie zum Arbeitstier, zur Gebärmaschine und zum Sexobjekt erniedrigt”.

Eine vorsätzliche Vertuschung der Realität nannte es der Bischof, wenn der Überlebenskampf der Indianervölker als Guerilla bezeichnet werde, und er zitierte eine junge Witwe aus Guatemala: „ Wir wollen es nicht zulassen, daß man unser Leid und unseren Schmerz feiert. Es gibt Tausende von Witwen in Guatemala. Unsere Brüder werden als Guerilleros beschimpft und verurteilt, weil sie in die Berge geflüchtet sind. Aber sie sind in den Bergen, weil man unsere Häuser niedergebrannt, unser Land geraubt hat. Und jetzt irren sie in den Bergen umher, als ob sie Tiere wären!”

Besonders geißelte Dom Erwin die skrupellose Zerstörung und Ausbeutung der Mit-Welt. Der Mensch werde als Störfaktor für profitträchtige Projekte empfunden: „Wenn sich zufällig ein Indianervolk in einem für ein Projekt ausersehenen Gebiet befindet, wird die programmgemäß durchgeführte ,Lösung' meist auch zur ,Endlösung': die Zwangsumsiedlung bewirkt die physische oder kulturelle Auslöschung dieses Volkes.”

Weiters brandmarkte Kräutler „die Manipulation der Religion zur Verteidigung einer ungerechten sozialen Ordnung oder, genauer ausgedrückt, der sozialen Un-Ordnung, die in sakrilegischer Art als gottgewollt gepredigt wird”.

Wer mehr über Bischof Kräutler, der bereits fast einem heimtückischen Mordanschlag zum Opfer gefallen wäre, erfahren will, sollte Dolores Bauers Buch „Strom des Elends - Fluß der Hoffnung” lesen oder sich die „Orientierung” am 26. März (17.30 Uhr, FS 2) anschauen.

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