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Appeasementpolitik nach 1933 und heute

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Die politische Formel: Furcht der Konservativen vor dem Kommunismus + deren Hoffnung auf Hitlers Antikommunismus =■ Appeasementpolitik der dreißiger Jahre ist Stehsatz in der Agitation und Propaganda der Linken in aller Welt. Im vorliegenden ersten Band des Werkes „England und das Dritte Reich" will der deutsche Historiker Oswald Hauser mit der „überholten Einschätzung" dieses klassisch gewordenen „Musterbeispiels sträflicher Nachgiebigkeit gegenüber einem totalitären Regime" aufräumen. So zumindest die Einibegleitung des Buches.

Der Text belehrt uns eines anderen. Wird diese Lehre den Deutschen des Jahres 1972 von Nutzen sein? Der Geist steht links in Deutschland und er ist also empfänglich für jenes Hegel-Zitat, bei dessen Lektüre einmal Lenin seine berühmte Marginal-glosse „scharfsinnig und klug" nicht unterlassen konnte: daß nämlich die Völker und die Regierungen des Volkes aus der Geschichte nichts gelernt haben.

Für den Österreicher ist dieses Werk, das sich auf erstklassiges Quellenmaterial stützt, besonders lesenswert: en passant beschreibt der Autor nämlich, wie die Politik Großbritanniens gegenüber Hitler mit zum Strick der österreichischen Unabhängigkeit wurde. Der vorliegende Band endet mit dem Jahre 1936, reflektiert also ausgiebig auf die englisch-iranzösisch-italienischen Erklärungen von Stresa (April 1935) und auf die im Anschluß daran in Aussicht genommenen gemeinsamen Beratungen „im Falle der Bedrohung der Unabhängigkeit Österreichs".

Damals nannten die Zeitungen einen Termin dieser Beratungen: 20. Mai 1935 in Rom. Indessen brachte der Frühling 1935 eine andere Blüte der englisch-deutschen Beziehungen: das Flottenabkommen beider Staaten vom 18. Juli 19.35, Pivot der englischen Appeasementpolitik in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Die damalige Rechtfertigung dieses Vertrags gegenüber französischen Beschwerden liest sich als ein klassisches Beispiel dafür, wie sogenannte Realpolitik nach momentanen Zweckmäßigkeitserwägungen als quasi unabweisbar notwendig und zweckmäßig einzementiert zu werden pflegt.

Im August 1935 bereits bezeichnete das britische Kabinett in dem berüchtigten „losing-horse-Memoran-dum" Österreich als ein verlierendes Pferd; auf das man in London nur im Interesse des nächstfolgenden Zieles der hitlerischen Aggression (Polen, Danzig und der polnische Korridor) etwas setzte. Indessen: die Einsätze auf das losinig horse wurden von Jahr zu Jahr geringer. Das vorliegende Werk schließt mit dem Jahre 1936 und es fehlt also in dieser „dokumentierten Geschichte der englischdeutschen Beziehungen" das Dokument jenes würdigen Finales der englischen Appeasementpolitik im Falle Österreich:

Wien, 11. März 1938. Um 16.30 Uhr geht der von der britischen Regierung erbetene Rat angesichts der bereits in Gang befindlichen Aggression Hitlers ein: Die Regierung Seiner Majestät, formulierte Viscount Hali-

fax, kann die Verantwortung nicht dafür übernehmen, den Bundeskanzler zu Handlungen zu raten, die sein Land Gefahren aussetzen würde, gegen die Seiner Majestät Regierung keinen Schutz garantieren kann. Ende des Zitats. Viscount Halifax war ein guter Christ. Man denkt daran, wenn man (zumal unter den gegenwärtigen Umständen) liest, was Martin Gilbert 1966 über die Wurzeln der Appeasementpolitik schrieb: Diese sei „sowohl als Geisteshaltung wie als Politik nicht eine törichte oder verräterische Idee in den Köpfen eigensinniger, leichtgläubiger Menschen, sondern eine edle Idee, wurzelnd im Christentum, in Mut und Vernunft..., eine Politik des Optimismus und der Hoffnung." Schade, daß die 50 Millionen Toten des zweiten Weltkrieges diese tröstenden Worte nicht mehr hören können. Sie und jene heute noch lebenden „Nutznießer" einer Ap-DeasementDolitik in beine.

ENGLAND UND DAS DRITTE REICH. Von Oswald Haus er. Erster Band 1933 bis 1936. Seewald-Verlag, Stuttgart, 1912, 317 Seiten.

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