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Appell an Egoismus: keine Friedensbasis

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Friede und Gerechtigkeit-zwei heute viel strapazierte Begriffe: Wie eng sie nnit-einander verknüpft und daher beide in Krise geraten sind, zeigen die folgenden Ausführungen.

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Friede und Gerechtigkeit-zwei heute viel strapazierte Begriffe: Wie eng sie nnit-einander verknüpft und daher beide in Krise geraten sind, zeigen die folgenden Ausführungen.

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Wo Gerechtigkeit ins Wanken gerät, wankt auch der Friede. Ja, man kann wohl sagen, daß Kriege immer da entstehen, wo das Maß der Gerechtigkeit undeutlich oder kraftlos wird. Das erscheint mir offenkimdig zu werden, wenn wir die vier Formen der Bedrohung des Friedens konkret betrachten, die heute in der Welt feststellbar sind:

• Die erste Bedrohimg des Friedens, die am meisten im öffentlichen Bewußtsein gegenwärtig ist, besteht in der Gefahr des Menschheitskrieges, also in der Gefahr, daß die großen Blöcke, in die die Welt geteilt ist, mit jenen Zerstörungswaffen gegeneinander los-

gehen, die aller Voraussicht nach den Untergang der Menschheit nach sich ziehen würden.

• Die zweite Form von Friedensgefährdung und -Zerstörung besteht in den „klassischen“ Kriegen, die auch in den letzten vierzig Jahren in den verschiedenen Erdteilen in einer nicht abreißenden Kette stattgefunden haben: Kriege im Vorderen Orient, Kriege in Afrika, in Südostasien, der Krieg zwischen Argentinien und Großbritannien…

• Die dritte Form könnte man als Verlust des inneren Friedens der Staaten bezeichnen, der sich in zwei wohl zu unterscheidenden, aber auch ineinander übergehenden Formen darstellt:

- Sogenannte Befreiimgsbewe-gungen greifen zur Gewalt, wo sie die staatliche Rechtsgewalt als Unrechtsgewalt ansehen und daher die an sich friedensstörende Auflehnung gegen die Staatsordnung als Einsatz für das Recht und damit als einzige Form der Herstellimg des Friedens, als Verpflichtung für den wahren Frie» den ansehen.

Zugleich wird hier der Kern der modernen Krise deutlich, die im Verlust des gemeinsamen Maßes der Gerechtigkeit besteht. Großräumiger Friede ist ja im Lauf des Mittelalters nach der Zeit der vielfältigen Fehden zwischen Familien und Städten, nach der Zeit weitgehender Selbstjustiz durch den Gewaltverzicht der einzelnen Rechtsträger entstanden, die sich untereinander in einem gemeinsam anerkannten Landrecht finden und den Schutz dieses Rechtes zentralen Instanzen—der „Justiz“ und ihren Organen - übertragen.

Heute ist ein Prozeß in Gang gekommen, der auf die Zurücknahme dieses Gewaltverzichts hinauslaufen könnte. Dieser Prozeß der Zurücknahme des Gewaltverzichts kann verschiedene Ursachen haben. Er kann darauf beruhen, daß der Staat nicht mehr Recht schützt, sondern als Recht ausgibt, was Willkür ist.

Er kann aber auch umgekehrt darauf beruhen, daß ideologische Gruppierungen sich eine parteiliche Rechtsidee schaffen und daher aus der Gemeinsamkeit des Rechtes ausbrechen, um ihre Ziele durchzusetzen. In beiden Fällen liegt ein tiefgehender ethischer imd religiöser Wandlungsprozeß zugrunde, in dem das Einverständnis darüber zerbricht, was Recht und was Unrecht ist.

- Wir hatten eben gesagt, das Zurücknehmen des Gewaltverzichts könne auf Verschulden des Staates beruhen, der Unrecht zu Recht macht; es könne aber auch auf einer rechtszerstörenden Parteilichkeit einer Gruppe beruhen, die ihr eigenes Recht zum einzigen Recht erheben und damit ihrerseits Unrecht als Recht aufzurichten gedenken. Je nachdem, ob das erste oder das zweite der Fall ist, wird man von Befreiungsbewegung oder von Terrorismus sprechen. Natürlich wird sich jeder Terrorismus als Befreiungsbewegung ausgeben, und wo das Maß des Rechtes undeutlich geworden ist, kann er es auch. • Die vierte Form von Friedenszerstörung ist schon angeklungen. Es kann sein, daß ein Staat in die Hand von Gruppen gerät, die das Unrecht zu Recht erheben, die Gerechtigkeit von Grund auf zerstören und dabei auf ihre Weise einen „Frieden“ schaffen, der in Wirklichkeit Herrschaft von Gewalt ist. Ein solcher Staat kann mit den Mitteln modemer Massenbeherrschung völlige Unterwerfung und damit den Anschein von Ordnung und Ruhe erzeugen, während die Menschen des unbeugsamen Gewissens ins Gefängnis geworfen oder zur Auswanderung genötigt oder umgebracht werden.

Ein Staat ohne Gerechtigkeit ist eine große Räuberbande, hat Augustinus dazu festgestellt. Hitlers Reich war ein solcher Räuberstaat, aber auch Stalins Regiment war Herrschaft einer Räuberbande. Äußerlich gesehen besteht hier Friede, aber es ist der Friede des Friedhofs.

Das Tragische ist, daß in der perfekten Tyrannis gar kein Befreiungskrieg mehr möglich ist und die Herrschaft der Gewalt sich ruhig als Sieg des Friedens etablieren karm. In diesem Sinn sagt das Neue Testament über den Antichrist voraus, daß er sich als der Bote von „Friede und Sicherheit“ darstellen werde. Hier stehen wir vor der paradoxen Seite unseres Themas: Was sich als endgültiger Friede ausgibt, kann vielleicht gerade die totale Zerstörung des Friedens sein.

Es hat sich gezeigt, daß sich heute der Friede in den Völkern auflöst, weil das Einverständnis darüber zerfällt, was Recht und was Unrecht ist. Was eine Gesellschaft zusammenhält und ihr Frieden gibt, ist das Recht. Wenn aber Recht keine gemeinsam anerkannten Inhalte mehr hat, dann wird es kraftlos; dann wer- ~ den die Träger der Rechtsgewalt zu „Bullen“ und die der Unrechtsgewalt zu Vertretern der Freiheit. Recht, das sich nicht mehr ausweisen kann, erscheint als Willkür, und was übrigbleibt, ist Gewalt: Homo homini lupus.

Deswegen ist die Friedensfrage mit der Frage nach dem Recht praktisch identisch, und die wahre Uberlebensfrage der Menschheit ist darum die Frage nach den Gründen und nach den wesentlichen, unmanipulierbaren Inhalten des Rechts. Wo und wie aber kann man darauf Antwort finden?

Diese Frage nötigt uns, nach den wesentlichen Formen der Rechtsbegründung und der Rechtsgestaltung in der neuzeitlichen Welt zu fragen.

• Da ist zunächst das berühmte Wort des Thomas Hobbes, „auto-ritas, non veritas fadt legem“: Das Gesetz findet seine Begründung nicht in einer unterscheidbaren Wirklichkeit des Rechten oder des Unrechten, sondern in der Autorität dessen, der es setzen kann. Es entsteht durch Setzung, nicht anders. Seine innere Deckung ist also die Macht der Durchsetzung, nicht die Wahrheit des Seins. Inzwischen ist dies im Bewußtsein eines großen Teils der heutigen Parlamentarier, also der rechtssetzenden „autoritas“ dahin abgewandelt, daß das Recht die in der Gesellschaft tatsächlich bestehenden Werturteile zu spiegeln und in Normen umzusetzen habe. Wenn Wahrheit so unzugänglich ist, wie es hier vorausgesetzt wird, gibt es den Unterschied von Recht und Unrecht in Wirklichkeit’ nicht, also auch nicht den Unterschied von Rechtsgewalt und Unrechtsgewalt, sondern nur die Durchsetzung der augenblicklich stärkeren Gruppe, die Herrschaft der Mehrheit.

• Diesem Begriff von Recht entspricht eine Idee des Friedens, die man auf die Formel bringen könnte: Utilitas, non veritas facit pa-cem (Nützlichkeit, nicht Wahrheit schafft den Frieden). Dem Siime nach geht es hier darum, den Egoismus als die stärkste und verläßlichste Kraft des Menschen - die Kraft, der die Konflikte entspringen, nun zum eigentlichen

Instrument des Friedens zu machen, weil gerade vom Standpunkt des Egoismus her Friede nützlicher ist als Krieg. Realistische Politik wird diesen Gesichtspunkt zweifellos in Anschlag bringen müssen und in ihm ein friedensstiftendes Element finden. Daß es allein nicht ausreicht, um den ewigen Frieden zu bauen, hat die Zeit nach Kant hinlänglich erwiesen.

• Die beiden eben genannten Motive „autoritas“ und „utilitas“ stellen sich ins postmetaphysische Zeitalter; sie suchen Recht und Frieden zu begründen in einer Situation, in der die Uner-kennbarkeit des Wahren und die Unfähigkeit des Menschen zum Guten unwiderrufliche Gewißheit geworden zu sein scheinen.

Diesen beiden nachmetaphysischen Ideen, deren politische Wirksamkeit offenkundig ist, steht aber ein starker metaphysischer Strom entgegen, der gerade heute wieder mächtig hervortritt; ich meine die von Johne Locke in seinem „Second Treatise of Government“ (1690) begründeten Grundrechte: Leben, Freiheit, Eigentum. Ganz eindeutig wird hier die Vorgängigkeit des Rechts der Person, vor den Rechtssetzungen des Staates reklamiert. Bei Locke ist die Formulierung der Menschenrechtslehre gegen den Staat gerichtet; ihr Sinn ist revolutionär.

Von da aus ist es nicht verwunderlich, daß die Aufklärung lange vor Marx auch einen revolutionären Strom entwickelte und die alte Lehre vom gerechten Krieg nun in eine Lehre vom Kampf für den ewigen Frieden umwandelte, der in der Weise des Weltbürgerkriegs zu führen sei. Damit ist die Ambivalenz auch der Menschenrechtslehre angedeutet: Wo der Freiheitsbegriff hypertrophiert und der Staat wesentlich als Feind angesehen wird, wird die Friedensfähigkeit zerstört.

In seinem gesunden Kern aber ist und bleibt die Idee der Menschenrechte ein Schutzwall gegen den Positivismus und ein Führer zur Wahrheit: Es gibt das, was an sich recht ist, und dies ist das Verbindende, weil es aus unserem gemeinsamen Wesen kommt.

Der Versuch, die Wurzeln der Krise von Gerechtigkeit und Friede aufzudecken, ist damit zugleich zu einem Hinweis auf das geworden, was heilen könnte. Recht kann nur dann wirksame Kraft des Friedens sein, wenn sein Maß nicht in unseren Händen steht. Das Recht wird von uns geformt, aber nicht geschaffen.

Anders ausgedrückt: Rechtsbegründung ohne Transzendenz gibt es nicht. Wo Gott und die von ihm gesetzte Gnmdf orm menschlicher Existenz aus dem öffentlichen Bewußtsein verdrängt und ins Private, bloß Subjektive abgeschoben wird, löst sich der Rechtsbegriff auf und damit das Fundament des Friedens.

Auous aus einem Vortrag den der nrifdrt der Glaubenskongregation Dei der 5. christlich-islamischen Konsultation in ChamM^ bei Genf im Dezember 1988 gehalten bat

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