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Apropos Dummheit

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Vor zwei, drei Jahrzehnten ist es in Mode gekommen, den französischen Romancier Gustave Flaubert ins L'art-pour-l'art-Winkerl zu stellen: Man bewunderte ihn allenfalls wie einen dressierten Affen, aber seine Bücher zu lesen galt nicht als schick. Wir hätten, so hieß es mehr oder minder unverblümt, andere Sorgen als Flaubert einerseits, die Madame Bo-vary oder gar der heilige Antonius anderseits.

Und in der Tat: Unsere Sorge gilt nur noch dem Geld und, mehr pro forma, der Gesundheit - dies zweite nämlich nur, um unseren Sinn für höhere Werte als das Geld ist, uns und der Umwelt zu dokumentieren.

Aber just in dieser Causa hat Flaubert uns einiges zu sagen, und zwar durchwegs grob Unfreundliches; und vermutlich deshalb haben wir uns damit begnügt, ihm beim Schreiben zuzuschauen, statt das Geschriebene zu lesen. D.as sollte aber, meint der als Trotzkopf sowieso schon sattsam bekannte Zürcher Diogenes, anders werden, und mogelt zu Dumpingpreisen den praktisch ganzen Flaubert in das unterm Druck des Geschwätzes erstickende Sortiment. Adäquater Kostenpunkt: ein Tag Mallorca, Getränke nicht inbegriffen. Man spekuliert im Verlag auf die Pietät, denn am 8. Mai 1980 sind's hundert Jahre, seit Flaubert seinen letzten Seufzer getan, und das heißt bei ihm, seine letzte ahnungsvolle Verwünschung ausgestoßen hat.

Und jenen schrulligen Überbleibseln der einst sogenannten Menschheit, die des Lesens noch kundig sind und es weiterhin üben, wird gerade in dieser kompakten und dennoch wesentlich lückenlosen Zusammenfassung und Zusammenschau von Werk und Wirkung deutlich werden, daß dieser „Artist" um einige tausend Seiten aktueller ist als jeder jeweilige Dernier cri unserer dichtend nach Gesellschaftsveränderung trachtenden Analphabeten. Denn Flaubert hat der Sprache ja nicht aus ästhetischem Luxusbedürfnis gedient, sondern um die Welt vielleicht doch noch - das Wort in der vollsten Bedeutung genommen - dingfest zu machen: eine Welt, die mit der Industrialisierung fortwährend neue, bald nicht mehr benennbare Dinge produzierte; eine Welt, in der dadurch die Anschaulichkeit zusehends abnahm; eine Welt, die eben dadurch jene Hohlräume schuf und ständig erweiterte, in denen die Ideologien sich einnisten konnten. Kurz: Wo uns das Wort fehlt, stellt prompt die Phrase sich ein.

Was daraus folgt, hat Flaubert genauso geahnt wie Kierkegaard, Dostojewski, Burckhardt und Nietzsche, und gelegentlich vorausgesagt bis zu Weltkrieg und Völkermord. Und wie Stifter, so hat Flaubert dem Prozeß des Entschwindens der Dinge in die Anonymität sein pedantisches Benennen entgegengesetzt: nicht um der Dinge willen, sondern um zu verhindern, daß alles sinnlos werde, weil alles namenlos ist.

Und wenn man zitiert, daß er angesichts der Dummheit physische Qualen gelitten habe, dann sollte man erläuternd hinzufügen: angesichts der Dummheit, die Welt nicht wörtlich zu nehmen, sondern sie zu ideologisie-ren. Denn dieser Art von Dummheit -diesem modernen Aspekt der Dummheit - hat Flaubert schon die „Education" gewidmet, und dann, bis zuletzt, ganz speziell seinen enzyklopädischen Roman „Bouvard und Pecuchet", der unvollendet auf uns gekommen ist, weil selbst ein Methusalem über diesem Thema hinwegsterben muß.

Legitimiert wird dieser Protest gegen die Zukunft - gegen unsere Gegenwart - nun freilich durch eben das, was man abschätzerisch die Artistik nennt: durch das, was in Wahrheit die Sisyphosarbeit ist, dem Vagen eine Kontur zu ziehen, das Beiläufige zum Exakten zu zwingen, dem Chaos die Ordnung, der Natur die Kultur abzuringen; mit einem Wort: dem Begriff der Rechtschaffenheit eine so persönliche wie beispielhafte Definition zu geben. Während die Raunzerei, auch wenn sie heute allgemein als Zeitkritik gefeiert wird, nichts weiter als die verbale Spielart der totalen Schlamperei ist, der Schlamperei im Denken und im Handeln, im Umgang mit Menschen und mit Dingen, offenbart der Wille zum Stil, hier: die Suche nach dem „mot juste", nach dem jeweils angemessenen Wort, nach der richtigen Antwort; es offenbart dieser Wille, sage ich, die Bereitschaft, Verantwortung zu tragen.

Nun, wenn diese gar nicht genug zu rühmende Edition uns den Kampf Flauberts gegen die Dummheit in Erinnerung bringt, gegen den Fortschrittswahn, der unser abgrundtief reaktionäres Jahrhundert auf dem Gewissen hat (wenn er eines hätte), dann sollte sie, diese Edition, uns auch bestärken in dem Glauben, den Gustave Flaubert in seinem „schlichten Herzen" genährt hat: daß die Erfüllung nicht im Verdienen, sondern im Dienen legt und für große Charaktere- man wagt das schon nicht mehr zu sagen - im Opfer.

WERKE - BRIEFE - MATERIALIEN. Von Gustave Flaubert. S Taschenbücher in Kassette und ein Ergänzungsband. Diogenes Verlag. Zürich 1979, ca. 3100 Seiten, öS 593,40.

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