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Apropos Offenbach

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Wir danken ihm sehr viel - zum Beispiel die „Fledermaus". Daß Jacques Offenbach Johann Strauß geraten hat, Operetten zu schreiben, ist eine unbestätigte Legende. Daß aber Johann Strauß ohne das große Vorbild nicht zum Operettenkomponisten geworden wäre, kann man guten Gewissens behaupten.

Jacques Offenbach, vor hundert Jahren gestorben, hat aber auch uns zu danken. Denn zum erstenmal machteer den Schritt über Frankreich hinaus, weil er in Wien an Johann Nestroys Theater gespielt wurde. Und der Schauspieler Carl Treumann war sein vortrefflicher Ubersetzer, sozusagen ein Offenbach-Schlegel-Tieck.

Die Ouvertüre zu „Orpheus in der Unterwelt", die wir kennen und lieben, ist gar nicht von ihm niedergeschrieben, sondern aus Motiven der Operette von dem Wiener Theaterkapellmeister Carl Binder verfertigt worden.

Und das ist eigentlich die einzige Offenbach-Bearbeitung, die man restlos bejahen kann. Denn Karl Kraus, der Offenbach über alles geliebt hat, hat ihn ja nicht bearbeitet, sondern voll Demut und Respekt getan, was wir heute Revi-talisieren nennen. Nicht wie neu sollte Offenbach durch ihn wirken, sondern „wie alt".

Doch was ist ihm sonst alles angetan worden, schon zu Lebzeiten durch Lokalisierer und Aktualisierer, und nachher erst recht. Jacques Offenbach ist in diesem Oktober seit hundert Jahren tot, und ist in diesen hundert Jahren seit seinem Tod immer wieder ermordet worden, von Reinhardt von Felsenstein bis hinunter zu Erich Wolfgang Korngold.

Die Schwierigkeit für uns mit Offenbach ist: daß seine populärsten Operetten: „Orpheus" und „Helena" nicht die besten, nicht einmal die charakteristischesten sind! „Die schöne Helena" ist überdies auch musikalisch vergleichsweise unergiebig. Nein, „Pariser Leben", „Blaubart", „Die Großherzogin von Gerolstein", „Madame l'Archiduc", „Die Banditen", „Peri-chole" ... eine Fülle von hinreißenden Geniestreichen des musikalischen Theaters, im Grunde Buffo-Opern, Operetten im wörtlichen Sinn: Klein-Opern, Operin, mindestens so würdig eines Opernhauses wie „Die Lustigen Weiber", Mozart näher, finde ich, als etwa „Der Waffenschmied", „Der Wildschütz", „Fra Diavolo". *

Auf einer Offenbach-Gedenktafel in Köln habe ich eine bedeutungsschwere Symbolik entdeckt. Bei seinem Geburtsdatum stand, wie üblich, ein Stern, bei seinem Todesdatum stand, wie üblich, ein Kreuz. Der Lebensweg von Köln nach Paris, vom Deutschen zum Franzosen, war auch ein Weg vom Davidstern zum Kreuz. Er ist als deutscher Jude zur Welt gekommen und hat sie als französischer Christ verlassen, doch nie war da Antagonismus, immer ( Einheit. Er ist eine große Figur der jüdisch-christlichen und der deutschfranzösischen Verständigung. *

Als junger Musiker wohnte er mit dem jungen Musiker Friedrich von Flo-tow in einer Wohnung. Die beiden waren innig befreundet. Und immer wenn ich die geistreiche Musik von Flotows „Martha" höre, denke ich, daß Jacques Offenbach da und dort gekiebitzt haben könnte.

Rossini nannte ihn „den Mozart der Champs-Elysees", und dieser Ausspruch wird immer wieder zitiert, aber er kann nicht oft genug zitiert werden.

Denn Mozart ist ja nicht nur heiter. Und auch Offenbach geht über die Opera Buffa hinaus, nicht nur in vielen lyrischen Augenblicken seiner Operetten.

Verdi war sein Leben lang seriös dramatisch und hat am Ende „Falstaff", seine große komische Oper, komponiert. Offenbach war sein Leben lang Autor komischer Opern und hat zum Abschied „Hoffmanns Erzählungen" geschrieben - nach der „Kunst der Fuge" das vierte große vollendete Fragment der Musik, nach Mozart-Requiem und der h-Moll-Symphonie von Schubert. Diese Oper ist so geheimnisvoll, als hätte tatsächlich E. T. A. Hoffmann sie ersonnen, eine Oper, die jeder, der sie hört, in seiner Phantasie weiterund zuendeschreibt.

Im zweiten Jahrhundert seines Uberlebens wird Jacques Offenbach noch viele weitere musikalische und textliche Untaten zu überleben haben, aber seine Musik wird weiterhin das Lob ihres Schöpfers singen, dem in seinen großen Bühnenwerken Ähnliches gelungen ist wie Johann Strauß in seinen großen Walzern.

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