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Arabischer Münchhausen

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Der Waffenstillstand zwischen Streitkräften und Palästina-Suerilleros bedeutet noch keine endgültige Lösung des seit zwei Wochen offen ausgebrochenen innerpolitischen Konfliktes im Libanon. Beide Seiten betrachten ihn lediglich als Atempause.

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Der Waffenstillstand zwischen Streitkräften und Palästina-Suerilleros bedeutet noch keine endgültige Lösung des seit zwei Wochen offen ausgebrochenen innerpolitischen Konfliktes im Libanon. Beide Seiten betrachten ihn lediglich als Atempause.

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In Beirut erlebten die Palästina-freischärler und die Weltöffentlichkeit in den letzten vierzehn Tagen einen Jassir Arafat, wie sie ihn bisher noch nicht kannten. Als Jordanien im Herbst 1970 mit. dem Guerillaspuk blutig aufräumte, war er in Beirut. Als Syrien die auf sein Territorium geflohenen „Fedaijjin“ entwaffnete, war er in Kairo. Wenn im Libanon geschossen wurde, war er in Damaskus. Der PLO-Chef, seit dem verlorenen Sechstagekrieg von 1967 Nachfolger des intellektuellen Demagogen Achmed esch-Schukeiri, brachte jeweils immer seine wichtige Person als erstes in Sicherheit. Bis in die höchsten Führungsgremien der Dachorganisation zieh man ihn deshalb schon wiederholt der Feigheit. Doch in Beirut überholte ihn jetzt zum erstenmal die von ihm selbst befehligte Terrorwelle. Plötzlich befand er sich mitten im Zentrum einer Explosionsserie. Als er vor 14 Tagen zu Verhandlungen mit den Libanesen ins Präsidentenpalais fahren wollte, geriet sein Wagen zwischen die Schüsse der Armee und seiner eigenen Leute. Die darauffolgenden Tage zerstörten viele der Legenden um den arabischen Münchhausen.

Augenzeugen sahen einen Arafat, der völlig vergaß, die publikumswirksame Kostümierung mit Tarnanzug und Beduinenkopfschmuck anzulegen, dem Schweißbäche von der kahlen Stirn rannen und dessen dicke Lippen zitterten, wenn er mit seinen Gegenspielern telephonieren mußte. Der Arafat, der Flüchtlingslager nur von seinen Stippvisiten als

Quasi-Staatschef Palästinas kennt und sich in seinen Luxusvillen in Amman, Beirut, Damaskus und Kairo wohlfühlt, war schnell am Ende seiner Nervenkraft. Kaum zufällig kamen in diesem für ihn höchst unerfreulichen Augenblick entlarvende Einzelheiten seiner Biographie ans Tageslicht. „Abu Ammar“, wie er sich in Anlehnung an das erste Todesopfer in den Heiligen Kriegen des Propheten Mohammed zu nennen pflegt, ist nicht eigentlich gebürtiger Palästinenser. Seine Wiege stand 1929 nicht in Jerusalem, wie die sogar in westliche Lexika eingegangene offizielle Biographie behauptet, sondern in Kairo. Nach Ägypten waren seine Eltern schon 1920, also noch vor Beginn der ersten großen Araberaufstände gegen die jüdische Einwanderung, übersiedelt.

Eine zweite jetzt zerstörte Legende ist der Millionär Arafat. Der junge Abderrachman, der sich später den Namen Jassir zulegte und noch später als Abu Ammar firmierte, studierte Ingenieurwissenschaft in seiner Vaterstadt Kairo. Dort gründete er die palästinensische Studentenunion (GUPS). Seine Kommilitonen umschreiben seine privaten Neigungen mit der zurückhaltenden Floskel, er habe „wenig mit Mädchen zu tun gehabt“. 1953 betätigte sich der Ingenieurstudent als Saboteur gegen die britischen Einrichtungen in der Suezkanalzone. Damals war er auch Mitglied der extremistischen „Moslem-Brüderschaft“. Eine Studien-

fortsetzung an der Technischen Hochschule in Karlsruhe, wie sie in seiner offiziellen Biographie vermerkt ist, hat sich nicht feststellen lassen. In Kuwait erhielt der Student ohne Studienabschluß eine Stellung als Ingenieur im öffentlichen Dienst. Er war keineswegs, wie offiziell behauptet wird, Besitzer einer privaten Ingenieurfirma, konnte also auch nicht Millionär werden und seine Millionen nach dem Sechstagekrieg in die Kriegskasse der von ihm gegründeten Guerillagruppe „El-Fatach“ einbringen.

Jassir Arafat alias Abu Ammar wurde rasch zum Idol der frustrierten palästinensischen Jugend. Auf der Gipfelkonferenz von Rabat erschien er im staatsmännischen Mercedes mit dem polizeilichen Kennzeichen „PAL-1“, in Kairo und Bagdad, Khartum und Damaskus, Algier und Tripolis war er gleichberechtigter Gesprächspartner der arabischen Staatsoberhäupter, in Moskau und Peking galt er als offizieller Sprecher Palästinas. Abgefallene PLO-Funk-tionäre verbreiteten allerdings immer wieder Informationen über seinen luxuriösen Lebenswandel und seine Nummernkonten mit Millionenvermögen in der Schweiz. Diese Gerüchte konnte er immer wieder entkräften.

Libyens Staatschef Moammer el-Gaddafi, früher großzügiger Mentor der Guerilleros, hat ihnen die Freundschaft aufgekündigt und ihre Kassen sind leer. Arafats Gegner für die Nachfolge des „arabischen Münchhausen“: Der Chef der von Syrien unterstützten „Es-Saika“ („der Blitzstrahl“), Abu Rabich, dessen Eingreifen die Palästinenser im Libanon vor einem „schwarzen Mai“ rettete, soll neuer PLO-Führer werden und die zerstrittenen Untergruppen wieder zu dem gemeinsamen Ziel des Kampfes gegen Israel einigen.

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