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Arbeit
Der 1. Mai, der Tag der Arbeit, ist ein geeigneter Anlaß, sich Gedanken über den Stellenwert der Arbeit im menschlichen Leben und im Rahmen der Schöpfung zu machen. Dabei ist es nötig, sich vor zwei Extremen zu hüten, die beide in die Irre führen und der Rolle der Arbeit für die Humanisierung des Menschen und der Welt nicht gerecht werden.
Der eine Irrtum besteht darin, den Schwerpunkt des Menschen ganz und gar in die Arbeit zu verlagern und die Arbeit nicht nur zum Hauptinhalt der menschlichen Existenz zu erklären, sondern — wie es der Marxismus tut - so weit zu gehen, die Arbeit als Selbsterlösung des Menschen, ja als Akt, durch den der Mensch erst Mensch wurde, zu deklarieren. Diese Auffassung verkennt, daß der Mensch nicht erst der Arbeit bedarf, um Mensch zu werden, wenn die Arbeit auch die regelmäßige Form der Gestaltung der Lebenswirklichkeit ist.
Aber es ist falsch, den Menschen nur von der Arbeit her zu verstehen, sonst hätten heiliggesprochene Bettler und Mönche beschaulicher Orden auch als Ausnahmen, die sie sind und bleiben, keine Existenzberechtigung.
Auf der anderen Seite ist es falsch, in der Arbeit nur ein Mittel zur Daseinsfristung zu erblicken und zu übersehen, daß der Mensch die Arbeit benötigt, um seine schöpferischen Potentialitäten zu entfalten. Der Schöpfungsauftrag, sich die Erde untertan zu machen, läßt sich gewöhnlich nur in Form der Arbeit erfüllen.
Allerdings ist dieser Auftrag unter den Bedingungen der gefallenen Welt nicht nur Segen, sondern auch Fluch, ein Element des Leidens und der Überwindung von Widerständen läßt sich also aus dem Begriff und der Realität der Arbeit nicht eliminieren, ohne daß die Arbeit ins Spiel übergeht.
Die christliche Anthropologie hält also die gebotene Mitte zwischen einem extremen Optimismus in bezug auf die Funktion der Arbeit und einer Schau, die der Arbeit nur einen erhaltenden und vorübergehenden Wert zubilligt und sie letzten Endes abgeschafft sehen möchte.
Im Marxismus berühren sich im übrigen beide Extreme, die Arbeit wird auf der einen Seite über Gebühr stilisiert, auf der anderen, was die Zukunftsgesellschaft anbelangt, im wahrsten Sinne des Wortes heruntergespielt.
Es ist ein gutes Stück Gedankenarbeit, die auch eine, ja die höchste Form der Arbeit ist, nötig, um solche Einseitigkeiten bei der Betrachtung und Einschätzung der Arbeit im Sinne des skizzierten christlichen Ansatzes in die Schranken zu weisen und am Doppelcharakter der Arbeit als Segen und Fluch als an Signaturen unserer Existenz festzuhalten.
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