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Digital In Arbeit

Arbeit im Pflegeheim könnte schön sein

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Ich arbeite in einem Pflegeheim Österreichs. Nicht aus Feigheit schreibe , ich unter einem Pseudonym meine Er­fahrungen und die Anregungen, die sich Für Gutwillige daraus ergeben müßten. Niemanden wäre nämlich genützt, wenn ich meine Stellung gefährde.

Kennen Sie Pflegeheime?

Eine von der Grundidee her heilvolle, gute Einrichtung. Hier finden Men­schen einen Ort des Versorgtseins. Die­jenigen, die hier aufgenommen werden, sind hilfsbedürftig, seit Jahren ans Bett gefesselt, bewegungsbehindert, teilge­lähmt, enterbt, entmündigt, verlassen, abgeschoben, ausgeschlossen ...

Da für 95% der Heiminsassen das Pflegeheim Endstation, Warten auf den Tod ist, erstaunt mich die Unterschied­lichkeit, in der ich die Menschen erlebe. Sie tragen ihr Los: Geduldig, unstet, er­geben, geläutert, verwirrt, verzweifelt, bösartig, grantig, enttäuscht...

Eben diese Menschen, die ich in ihrer Verzweiflung oft besser verstehe als in ihrer Ergebenheit, sind abhängig vom Personal, also Verwaltung, Arzt, Di­plomschwester, Hilfsschwester, Reini­gungskräfte usw.

Waren Sie schon einmal abhängig? Nein? Wie gut für Sie!

An alle von uns, die wir hier arbeiten, werden enorme Anforderungen ge­stellt. Wer hier nur des Geldes wegen arbeitet, sollte dies lieber an einem Fließband tun, denn bei uns bedarf es in

allererster Linie der Liebe zum hilflo­sen Menschen. Der Geduld seiner Son­derbarkeit gegenüber, des Einfühlungs­vermögens und des sich in des anderen Lage Versetzenkönnens.

Ich bin nur ein mittelkleines Rad im Getriebe: nicht groß genug, um es um­zulenken, nicht klein genug, um mich herauslösen zu können. Ich stehe inmit­ten, höre und sehe vieles und ringe oft erschüttert um Verständnis.

Ich werde wiederholt in meine Schranken gewiesen und als ahnungs­lose Idealistin belächelt. Ich finde nur Verbote: „Vormittagsbesuch verbo­ten", „Rauchen verboten“, „Eintritt verboten“, „Trinkgeldannahme verbo­ten“, „Mitbringen von Hunden verbo­ten“.

Ich vermisse die Empfehlungen: „Lächle“, „Bring’ Blumen“, „Nimm dir Zeit“, „Plaudere mit den Einsa­men“, „Danke für dein Wohlergehen und erweise dich dessen würdig ...“

Ich arbeite erst seit wenigen Jahren und bin voll Idealismus im Beruf und voll Liebe diesen Ärmsten gegenüber - bin aber im mittleren Alter sehr wohl vom Leben so durchwirkt, daß ich mir klare Urteile zutraue.

Leider verfiel ich zu Beginn meiner hiesigen Tätigkeit einem Fehler: Ich versuchte, die Mängel, unter denen die Patienten zu leiden haben, durch Um­stimmung des unmittelbaren Be­treuungspersonals abzubauen.

Es half teilweise. Durch monatelange tägliche Konfrontation mit Patienten, Personal, Chef (so er hier), fiel mir der Satz ein, den man in meinem Dorf zu sagen pflegte: „Wie der Herr - so’s G’scherr!“

Darin liegt so viel Wahres, daß ich nicht empfehle, sondern fordere: mehr Einsatz, mehr Interesse, mehr Mut, und dies angefangen von den obersten Stellen!

Ich empfehle bzw. fordere

... daß die Leitungsposten nicht nur mit Freunden, Genossen und Bun­desbrüdern, sondern mit qualifizierten Menschen besetzt werden:

.,. daß die Leitung vollen Einsatz an erste Stelle setzt und diesen nicht nur anordnet, sondern lebt;

.. . daß dem Personal nicht durch unnötige Schikane die Freude am En­gagement verleidet wird;

Ich hoffe, daß meinen Artikel je­mand liest, der nicht nur Einfluß, son­dern auch Mut hat:

... den Mut hat, bei Besichtigung oder Kontrolle eines solchen Heimes nicht nur die neuen Vorhänge in der Halle zu bemerken, sondern auch die abgeschabten Wände in den Kranken­zimmern, die nicht schließenden Fen­ster, die Kartons unter den Betten, wo bescheidene Armseligkeiten aufbe­wahrt werden, weil es an jahrelang ver­sprochenen Schränken fehlt;

... den Mut hat, nicht nur den kom­fortablen Schreibtischsessel des Ver­walters zu bemerken, sondern auch den gesundheitswidrigen Stuhl, auf dem die Nachtschwester ihre ramponierten Bandscheiben weiterhin zu schädigen hat;

... den Mut hat, nicht nur die Kli­maanlage in einem kaujn benützten Therapieraum zu bemerken, sondern die Waschküche besucht, in der es an Entlüftung mangelt und in der man vor Gestank und Hitze umkommt;

. . . und den Mut hat, anders zu sein als die Norm!

Warum haben die harten Herzen so viel Mut? Wenn eine Schwester sagt, der Krüppel habe im Bett zu warten (durch Herausheben aus dem Bett in den Rollstuhl könnte er ca. drei Stun­den länger am Tag menschenwürdiger verbringen), dann sind die wenigen Gutherzigen still und lassen sich die konstruierte Begründung aufoktroyie­ren.

Ich bin von der Gewißheit, daß das ehrlich Gute siegt, so durchdrungen, daß ich damit rechne, daß irgendwann einmal Pflegeheime zu Orten werden, wo man sich nicht nur versorgt fühlt, sondern angesprochen, geliebt. Wo man nach eventuellen Wünschen ge­fragt wird, wo man auch dann noch für voll genommen wird, wenn einem das Leben schon grausam viel an Substanz geraubt hat.

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