6878576-1979_01_01.jpg
Digital In Arbeit

Arbeiter und Kirche

Werbung
Werbung
Werbung

Mit fester Stimme, kein Zögern und Zittern in ihr, trug der 89jährige Nestor der katholischen Soziallehre im deutschsprachigen Raum zum Auftakt der österreichischen Pastoraltagung am 27. Dezember seine Thesen vor. Wir berichten über die Tagung auf Seite 8 und vermerken zu dem auszugsweisen Abdruck des folgenden Referates, daß P. Nell-Breuning es ausdrücklich vor allem auf deutsche Verhältnisse bezogen sehen will: „Ich weiß, daß in Österreich manches sich anders verhält.“

Gewiß ist die Struktur uiiserer heutigen Gesellschaft pluralistisch und viel zu kompliziert, um sich auf das enge und einseitige Gegensatzpaar Arbeitgeber/Arbeitnehmer oder, wie man gewöhnlich formuliert, „Kapital und Arbeit“ zurückführen zu lassen. Nichtsdestoweniger ist dies nach meiner Uberzeugung der fundamentale Gegensatz, der sich seit dem Zusammenbruch der feudalen Gesellschaft herausgebildet hat und die Struktur der heutigen, sich „kapitalistisch“ nennenden Gesellschaft bestimmt und, wenn schon nicht das Bewußtsein der Menschen, so jedenfalls deren Unterbewußtsein beherrscht.

Wenn dem so ist, dann erschließt sich auch von hier aus am ehesten das rechte Verständnis der Beziehungen zwischen uns, die wir uns als die „gute Gesellschaft“ und die brave katholische Gemeinde verstehen, und den „anderen“, d. i. denen, die wir nicht dazu zählen, die wir draußen stehen lassen und die darum auch wenig Verlangen haben und keine angestrengten Versuche machen, in unsere Gemeinde eingelassen zu werden.

Wenn es darum geht, wie die Arbeiterschaft uns sieht, dann brauche ich nur eine Frage zu stellen: Wie stehen wir zu den Gewerkschaften?

Die offizielle katholische Soziallehre lobt und empfiehlt die Gewerkschaften - auf dem Papier! Wie sieht die Praxis aus? Ich frage jetzt nicht: Wieviele gläubige und kirchentreue Katholiken treten in die Gewerkschaft ein und dienen sich in der Gewerkschaft hoch? Diese Frage gehört nicht hierhin. Aber die Ausrede, das sei aussichtslos, weil man in der Gewerkschaft nur mit einem bestimmten Parteibuch hochkomme, kann ich nicht gelten lassen...

Auch heute noch werden Nach-

wuchskräfte aus der KAB und anderen Kreisen, die sich zur katholischen Soziallehre bekennen und vermutlich christlich firmierenden politischen Parteien angehören oder nahe-steh'ip, von den Gewerkschaften dringend gesucht. Wissen Sie, daß die IG Metall laufend Kurse in christlicher Soziallehre veranstaltet und finanziert?

Wer sich engagiert und etwas leistet, der kommt auch in der Gewerkschaft hoch. Als einzige Ausrede lasse ich gelten, daß man durch gewerkschaftliches Engagement ernsthaft Gefahr läuft, sich beim Klerus

und bei der katholischen Gemeinde als zuverlässiger Katholik zu disqualifizieren.

In diesem Zusammenhang frage ich auch nach etwas anderem, nämlich nach der Haltung unserer katholischen Presse und der von kirchenamtlicher Seite betriebenen Medienpolitik gegenüber den Gewerkschaften. Wie reagiert unsere katholische Presse auf Verlautbarungen, Forderungen und Maßnahmen von Unternehmer- bzw. Arbeitgeberseite und wie auf solche von der Gewerkschaftsseite?

Ernsthafte Kritik am Verhalten der

Unternehmerseite, Warnungen vor Ubermacht, der Unternehmer oder erst gar einem „Unternehmerstaat“ wird man, wenn überhaupt, nur ganz ausnahmsweise einmal in maßgeblichen katholischen Organen zu Gesicht bekommen; um so häufiger aber anmaßende Abkanzelung, schulmeisterliche, moralisierende, ja selbst höhnische und hämische Kritik an Gewerkschaften und Gewerkschaftsführern.

Selbstverständlich ist mir bekannt und ich unterschätze keineswegs, daß ein Teil unserer katholischen Intellektuellen, nicht zuletzt unserer katholischen Priester, in unerleuchtetem Eifer zu einer „Systemveränderung“ drängt und dabei Ideen in sich aufnimmt, von denen einige mit Grundwahrheiten unseres Glaubens unvereinbar sind, und sich mit Kräften verbünden, die das ihnen geschenkte Vertrauen nicht verdienen.

Wenn aber jedes Drängen auf Veränderung schon als verdächtig gilt, wenn unliebsame Aussagen oder unbequeme Forderungen, die man jedoch mit päpstlichen oder konzilia-ren Te^Aen belegen kann, als marxistisch Jeder reomarxistisch verunglimpft werden, dann besorgt man damit nur die Geschäfte der Marxisten und Neomarxisten.

Zum Schluß gestatten Sie mir, damit ich meinem Gewissen Genüge tue, noch zwei weniger soziologisch, dafür aber meines Erachtens pastoral wichtige Aussagen:

1. Irrige Lehren, gleichviel von welcher Seite sie kommen, sind mit der gleichen Strenge am unbestechlichen Maßstab der Wahrheit zu messen und gegebenenfalls zu berichtigen. Wer gegenüber neoliberalen Thesen Nachsicht übt, der schuldet Thesen des freiheitlichen demokratischen Sozialismus genau die gleiche Nachsicht - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Beide haben in den letzten Jahrzehnten ungemein viel übernommen, was wir bis dahin allein in unserer Soziallehre vertreten haben. Je vornehmer und ritterlicher wir die Auseinandersetzung mit ihnen führen, um so mehr werden sie mit uns weitere Fortschritte in der Erkenntnis des Wahren machen.

2. Den folgenschwersten Kniefall vor Karl Marx haben die christlichen Kirchen (ich spreche in der Mehrzahl!) damit getan, daß sie ihre durch Jahrhunderte treu bewahrte kritische Haltung gegenüber dem Reichtum hintangesetzt und die „Heiligsprechung“ des Eigentums durch die französische Revolution und das in ihr siegreiche Großbürgertum zwar nicht nachvollzogen haben, wohl aber in ihrer Sprechweise ihr zeitweilig bis zum Verwechseln nahe gekommen sind und bis heute noch sich schwer tun, den einmal begangenen Fehler offen und herzhaft und mit dem gehörigen Nachdruck zu berichtigen.

Will die Kirche die Arbeiterschaft, die verloren zuhaben nach dem authentischen Wort Pius' XI. „der Skandal des 19. Jahrhunderts“ war, wiedergewinnen, dann muß sie durchsetzen, daß an der unzweideutigen Aussage des Zweiten Vatikanischen Konzils in „Gaudium et Spes“ (Ziff 67) nicht länger herumgedeutelt wird: „Die Arbeit ist unmittelbarer Ausfluß der Person; alle anderen Faktoren des wirtschaftlichen Lebens sind nur werkzeuglicher Art.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung