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Digital In Arbeit

Arbeitswelt ohne Funktionärsbrille

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Ein nüchternes Urteil über den Sinn der Arbeit. Ein vernichtendes Urteil über institutionelle Hilfen bei Problemen am Arbeitsplatz. Eine Nachdenkhilfe für Funktionäre.

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Ein nüchternes Urteil über den Sinn der Arbeit. Ein vernichtendes Urteil über institutionelle Hilfen bei Problemen am Arbeitsplatz. Eine Nachdenkhilfe für Funktionäre.

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Erst kommen Familie und Kinder, Ehe und Partnerschaft, dann kommt lange nichts. Erst danach reihen Arbeit und Beruf, weiter abgeschlagen — aber fast gleich-auf — Freunde und Bekannte sowie Religion und Kirche. Der Mensch in der Arbeitswelt ist zuerst Mensch.

„Der Mensch in der Arbeitswelt“: Das war Gegenstand einer Untersuchung, die von der Katholischen Arbeitnehmerbewegung der Erzdiözese Wien in Zusammenarbeit mit dem Institut für kirchliche Sozialforschung von April bis Juni 1988 durchgeführt wurde. Das nun vorliegende Ergebnis — mit einer Rücklauf quote von 25 Prozent bei 6.000 ausgegebenen Fragebogen durchaus ein repräsentativer Querschnitt — birgt manche Überraschung.

Gleich vorweg: Während die Politik der Arbeitszeitverkürzung Priorität einräumt, rangieren bei den Befragten bei der Abstimmung der Arbeit auf die anderen Lebensbereiche „menschlichere Arbeitsbedingungen“ mit 49 Prozent an erster Stelle. Danach kommt der Wunsch nach „individueller Festsetzung der Tagesarbeitszeit“ (45 Prozent).

Signifikant dabei, daß Beschäftigte in Betrieben mit 500 bis 1000 MR.:r'::::.: J.,.i

Mitarbeitern sowohl mehr Menschlichkeit (52 Prozent) wie auch mehr Flexibilität (53 Prozent) wünschen, während die Arbeitnehmer in Kleinbetrieben — das spricht für das Klima — vergleichsweise weniger (zu einem guten Drittel) Probleme sehen.

Nüchtern ist die Begründung der Berufstätigkeit: Für neun von zehn Befragten geht es schlicht um die Finanzierung des Lebensunterhaltes, nur für jeden zweiten spielt auch Freude am Beruf mit. Und nur 30 Prozent verbinden damit eine sinnvolle Leistung für die Gesellschaft, vorrangig Männer, um die Hälfte weniger Frauen.

Die Notwendigkeit, durch Berufstätigkeit das Familieneinkommen aufzubessern, ist deutlich ablesbar: Denn besonders stark steht die Finanzierung des Lebensunterhaltes auch bei Personen im Vordergrund, bei denen der Ehepartner halbtägig beschäftigt ist.

Uberraschend und wenig schmeichelhaft ist die Rolle, die Betriebsräte und Gewerkschaftsvertreter bei Schwierigkeiten am Arbeitsplatz in der Beurteilung spielen: Nur jeder sechste Befragte findet dort Hilfe, vor allem unter Arbeitern und größeren Betrieben. Sonst dominieren Hilfestellungen durch Kolleginnen und Kollegen (34 Prozent) sowie durch Vorgesetzte (24 Prozent). Bemerkenswert - und alarmierend -, daß sich immerhin ein Viertel von allen im Stich gelassen fühlt.

Und worin liegen die Hauptursachen der Arbeitslosigkeit? Das Untersuchungsergebnis zerstört da Klischeebilder: Zwar sieht sie ein Drittel in der Wirtschaftspolitik begründet, aber jeweils ein Fünftel machen dafür mangelnde Leistungsbereitschaft der Betroffenen und zu hohe Arbeitslosenunterstützung verantwortlich.

Der Meinung, daß zu hohe Arbeitslosenunterstützungen Ursache der Arbeitslosigkeit sein können, neigen vor allem Facharbeiter (34 Prozent) und Befragte mit einem Haushaltseinkommen unter 8.000 Schilling (35 Prozent!) zu, während Besserverdiener darin kaum Ursachen erkennen können.

Grundeinkommen?

Nichtminder beachtenswert die Antworten auf die Frage, die sich auf ein Grundeinkommen ohne Arbeit beziehen, ein Thema, das auch in der Diskussion rund um den Sozialhirtenbrief-Grundtext (FURCHE 37/1988) ein Reizwort ist. Gleich vorweg: Mit einem Grundeinkommen, das jedem die Wahl zwischen Berufstätigkeit einerseits und Mindesteinkommen ohne Berufsausübung offen läßt, können sich nur acht Prozent anfreunden.

55 Prozent sprechen sich aber für ein Mindesteinkommen ohne Berufstätigkeit für jene aus, „die gesellschaftlich nützliche Aufgaben erfüllen“. Kindererziehung, Haushaltsführung zum Beispiel. Immerhin 36 Prozent wollen aber Lebensunterhalt nicht von Beruf abgekoppelt wissen.

Welche Höhe eines Mindesteinkommens für Nicht-Berufstätige könnten sich die Befürworter vorstellen? Rund zwei Drittel plädieren hier für einen Betrag von 4.000 bis 5.000 Schilling netto im Monat. m- ,

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