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Archaische Pracht

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Nach langen Bemühungen der jeweiligen österreichischen Wissenschaftsminister ist nun anläßlich des 225jährigen Jubiläums der Leningrader Eremitage im Jahre 1989 das „Gold der Skythen“ in Wien. Vom 30. November bis zum 26. Februar zeigt das Künstlerhaus 170 Objekte von insgesamt rund 700 Exponaten aus der Skythen-Sammlung des zum Museum umgebauten Winterpalais Peters des Großen.

Ein Großteil der Schaustücke — Gefäße, Schmuck, Gebrauchsgegenstände — besteht wirklich aus purem Gold. Doch auch die Bronzen, Leder- und Holzarbeiten sind Kostbarkeiten ersten Ranges und im gleichen Stil geformt wie die Werke aus Edelmetall. Sie alle lagen einst in Kurganen, den riesigen Grabhügeln der skythischen Fürsten, die vom 7. bis 3. Jahrhundert v. Chr. mit ihren Reiternomaden die russische Steppe durchstreiften. Peter der Große erwarb um 1715 die ersten, primär aus Raubgrabungen kommenden Exemplare. Als sie vor Jahren der westlichen Welt in New York, Paris und München vorgestellt wurden, erregten sie stürmische Begeisterung. Adäquat präsentiert, müßte der skythische Schatz auch in Wien zum kulturellen Ereignis der Saison werden.

Eingeführt in die Welt dieses indogermanischen, aus zahlreichen Stämmen bestehenden Volkes — das eine iranische Mundart sprach und seine Abstammung der Legende nach von Herakles und einem Schlangenweib ableitete — wird der Besucher gemäß den Schilderungen des Griechen Herodot. Das heißt: Der erste Schauraum präsentiert sich als unterirdische Grabkammer eines skythischen Fürsten, wie sie dem „Vater der Geschichtsschreibung“ bei seinen Reisen nördlich des „Gastlichen Meeres“ (Pontos Euxeinos =. Schwarzes Meer) um 450 vor Christus skythische Gewährsleute beschrieben haben. Jahrtausende später wurden solche Grabkammern in diversen Variationen von Archäologen oft aufgefunden.

Wolfgang Oberleitner von der Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums und verantwortlich für das von Helge Sypereck vorbildlich ausgeführte Ausstellungskonzept, läßt solcherart dem Besucher das Gefühl vermitteln, er befände sich in einem Kurgan, in dem außer dem verstorbenen Skythenkönig (oder Fürsten) dessen rituell getötete Frau, sein Mundschenk, Koch und Leibwächter sowie die besten seiner Diener hoch zu Roß bestattet worden sind. Uber Lautsprecher erfährt der Beschauer zusätzlich, auf welche Weise Stammesangehörige Pferd und Reiter mumifiziert haben, damit sie Lebenden gleichen.

So vorbereitet, sieht man dann anhand von Exponaten aus der Wiener Antikensammlung Abbilder der Skythen, durch Griechen verfertigt, beziehungsweise wie das griechische Kunstschaffen vom Tierstil dieses kriegerischen, ob seiner Grausamkeiten berüchtigten, dabei künstlerisch hochbegabten Volkes beeinflußt worden ist. Die Reiter, die sich selbst Sko-loten nannten und keine eigene Schrift besaßen, haben in ihre eigenwillige Kunst chinesische, persische und griechische Elemente eingebracht; Etrusker, Griechen, Thraker, Kelten und Wikinger wurden wiederum von dem abstrahierenden, dekorativen und schwungvollen Stil der Skythen inspiriert.

Äm reinsten kommt dieser Stil, bei dem das Tier (auch Mischwesen) Haüptthema bleibt, wohl an dem „Liegenden Hirschen“ zum Ausdruck. 1897 in einem Kurgan aus dem späten 7. bis frühen 6. Jahrhundert v. Chr. in Kostom-skaja Stanice (Nordkaukasus) entdeckt, dürfte das Relief des Totemtieres auf einem eisernen Schwert montiert gewesen sein. Es besteht aus Gold, das der Legende zufolge vom Himmel fiel, wahrscheinlich aber entweder im Altai-Gebirge abgebaut oder in der südwestkaukasischen Landschaft Kolchis aus den Flüssen geschwemmt worden ist. Das zurückgelegte Geweih der kauernden Hirschkuh bedeckt - hoch stilisiert — den ganzen Rücken und läuft in Spiralen aus.

Den sogenannten Rolltiertypus vertritt besonders schön ein zusammengerollter Panther in Rük-kenlage aus der Sammlung Peters des Großen, überaus eindrucksvoll ist aber auch ein goldener Becher aus einer griechischen Werkstatt. In einem Kammergrab in Kul'-Oba auf der Halbinsel Krim in der Nähe einer griechischen Handelskolonie gefunden, gehörte er zum Inventar der Königin. Er zeigt, was das Steppenvolk selbst fast nie im Bild festhielt: den Menschen. An der Rundung des henkellosen Bechers sind sieben Männer aneinandergereiht. Sie tragen ihre aus Hose und Ärmeljacke bestehende Tracht, hohe, spitze Mützen, weiche Stiefel und Köcher, in denen die am meisten gefürchtete Waffe der Zeit steckte, nämlich der Reflexbogen und mit Widerhaken versehene, vergiftete Pfeile. Zudem hält der Künstler fest, wie beispielsweise ein langmähniger, bärtiger Mann dem anderen einen Zahn zieht.

Daß die Skythen auch Meister des Teppichknüpfens und Webens waren, beweisen Teppiche und Decken.

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