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Argloser Flugsand?

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In der jüngsten Nummer der „österreichischen Monatshefte" der ÖVP kommt Andreas Kirschhofer-Bozenhardt, Direktor des Linzer IMAS-Institutes, zu einem für Wechselwähler eher wenig schmeichelhaften Urteil (siehe Zitate links im Kasten). Der Sozialforscher Peter A. Ulram hält diese Einschätzung für höchst problematisch: eine Kontroverse um die „Wanderer zwischen den Parteien".

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In der jüngsten Nummer der „österreichischen Monatshefte" der ÖVP kommt Andreas Kirschhofer-Bozenhardt, Direktor des Linzer IMAS-Institutes, zu einem für Wechselwähler eher wenig schmeichelhaften Urteil (siehe Zitate links im Kasten). Der Sozialforscher Peter A. Ulram hält diese Einschätzung für höchst problematisch: eine Kontroverse um die „Wanderer zwischen den Parteien".

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Die Wechselwähler haben sich schon immer besonderen Interesses seitens der Meinungsforschung wie der Parteienstrategen erfreut: kein Wunder, vermag doch eine Verschiebung von wenigen Prozent der Wählerstimmen in vie-

len Fällen über Wohl und Wehe von Regierung und Opposition zu entscheiden.

Freilich ist das Urteil über diese Wählergruppe sehr unterschiedlich: für die einen stellen sie das Idealbild des „rationalen Wählers“ dar; die anderen wiederum halten die Parteiwechsler eher für politischen Flugsand.

Eben diese letztere Ansicht findet sich auch im Diskussionsbeitrag von IMAS-Direktor Andreas Kirschhofer- Bozenhardt in den österreichischen Monatsheften. Den dort präsentierten Daten zufolge wären „die Wartesaalwähler“ an Politik nur oberflächlich interessiert, politisch unsensibel und erlebten die politischen Auseinandersetzungen eher en passant und gefühlsmäßig.

So einleuchtend diese Argumentation auf den ersten Blick erscheint, so problematisch wird sie doch bei näherer Betrachtung. Die hier als „Wanderer zwischen den Parteien“ apostrophierten Österreicher sind nämlich nicht nur keine einheitliche Gruppe, sie sind auch - jedenfalls in ihrer Mehrzahl - gar keine richtigen Wechselwähler.

Vielmehr handelt es sich bei ihnen um Nicht-Deklarierte, also um Leute, die sich bei der Befragung für keine der Parteien entschieden haben.

Für eine derartige Weigerung, parteipolitisch Stellung zu beziehen, kann es aber eine Unzahl von durchaus unterschiedlichen Gründen geben, etwa

• die Abneigung, sich gegenüber einem Unbekannten (Interviewer) eindeutig politisch zu deklarieren;

• ein allgemeines Desinteresse an Politik überhaupt, bzw.

• eine Abneigung gegen alle Parteien;

• kurzfristige Verärgerung gegenüber einer bestimmten Partei, sozusagen „eine Wut, die dann wieder verraucht“;

• eine kurzfristige oder auch grundsätzliche Proteststimmung, die jedoch keine bestimmte Richtung annimmt und sich beispielsweise auch in Wahlenthaltung niederschlagen kann;

• endlich eine „echte Wartesaalposition“, wo man eine Partei verlassen hat, sich aber noch für keine andere Partei entscheiden kann.

Uber eine derart heterogene Gruppe - die ja eigentlich keine Gruppe, sondern nur die statistische Zusammenfassung aller jener ist, die zu einem bestimmten Zeitpunkt weder Volkspartei noch SPÖ, weder FPÖ noch Kommu

nisten wählen wollen, lassen sich aber kaum allgemeine Aussagen treffen:

Der „durchschnittliche Indifferente“ zeichnet sich eben dadurch aus, daß es ihn in der Realität nicht gibt; was für den politisch Desinteressierten charakteristisch ist, ist für den momentan (etwa AKH-empörten) „Ex-Soziaide- mokraten“ gerade nicht typisch, wo der jugendliche „Protestler“ alle Parteien verdammt, überlegt sich der mißgestimmte „Kreisky-Liberale“, etwa ob er nicht vielleicht doch Alois Mock oder Norbert Steger wählen sollte.

Dies wird besonders deutlich, wenn man tatsächliche Wechselwähler, also jene, die den Wartesaal schon wieder - freilich durch die andere Tür - verlassen haben, etwas intensiver unter die Lupe nimmt (Daten nach Dr. Fessel + GfK, Wechselwähler-Studie):

Die mobilen Wähler erweisen sich demnach als überdurchschnittlich politisch interessiert (51 Prozent gegenüber ca. 30 Prozent aller Österreicher), sind politischen Gesprächen - auch mit Parteifunktionären - besonders zugänglich und lesen weit mehr als ihre Mitbürger politische Magazine.

Was ihre Wahlmotivation betrifft, so zerfallen sie in zwei gleich große Gruppen: die einen entscheiden sich vorwiegend aufgrund inhaltlich-politischer Überlegungen („Issue-Wähler“), die anderen orientieren sich vor allem an der Persönlichkeit der Spitzenkandidaten und ihrer medialen Präsentation („Persönlichkeitswähler“).

Strategische Überlegungen einer Partei müssen daher beiden Gruppen - und ihren jeweiligen Interessen - entsprechend Rechnung tragen. Wer nur auf dem Klavier attraktiver Spitzenkandidaten und emotionaler Argumentation zu spielen versteht, läuft Gefahr, das kritische Segment der Wählerschaft zu vertreiben; wer nur ausgefeilte Programme und interessante Diskussionen’ oder Grundsatzüberlegungen anbieten kann, redet an den Bedürfnissen der anderen Hälfte vorbei.

Aus diesem grundsätzlichen Dilemma gibt es keinen einfachen Ausweg; Erfolg hat nur jene Partei, die Herz und Hirn der Menschen anzusprechen vermag.

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