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Ari Raths Vision

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„Als ich im Schlafzimmer der Maria Theresia saß, der einst verjagte Judenbua, der dem österreichischen Staatsoberhaupt sozusagen Ratschläge gibt, also, das war für mich fast gespenstisch!" Der Mann, der dieses Erlebnis wiedergibt, ist in Osterreich ins Gerede gekommen: Ari Rath, Chefredakteur der „Jerusalem Post", die im Februar den angeblichen Mock-Brief an die englische Premier-Ministerin veröffentlichte. Im Oktober hatte nach einer zufälligen Begegnung Raths mit Bundespräsident Waldheim -über dessen Einladung - ein lan-

ges Gespräch in den Präsidentschaftsräumen stattgefunden.

Rath war 13 Jahre alt, als er mit seinem vier Jahre älteren Bruder Max mit der ersten Gruppe jüdischer Kinder Osterreich verließ. „Was für mich jahrelang als Beleidigung galt, ,Saujude, fahr nach Palästina’, bekam plötzlich eine ganz besondere Bedeutung. Jetzt fahre ich wirklich, dachte ich." Es war wie eine trotzige Genugtuung. Zu dieser Zeit befand sich der Vater im Konzentrationslager Buchenwald.

Arnold Rath wurde 1925 in eine Wiener Bürgerfamilie geboren. Der Vater war Teilhaber der Papierfabrik Fried & Rath, die Erziehimg traditionell, „nicht besonders fromm, eher Feiertagsjuden". Als Sechsjähriger kommt Arnold in die Schubert-Schule, dann ins Wasa-Gymnasium. „Es ist viel zu wenig bekannt, daß es bereits seit 1935 Judenklassen gab, also während der Schuschnigg-Zeit, lang bevor Hitler kam." Obwohl „zum Teil eingefleischte Nazis", waren die Professoren ziemlich stolz auf die Juden, „weil wir eine gute Klasse waren".

Kurz vor dem Nazi-Einmarsch feiert Arnold Rath mit Rabbiner Schwarz seine Bar-Mizwa, die Aufnahme als mündiges Gemeindemitglied. Arnolds Bar-Mizwa-Geschenk war eine Fahrkarte nach Berlin. Mit einer Box-Kamera hat er festgehalten, was er in Deutschland zu sehen bekam, die Parkbänke mit der Aufschrift ,J>Iicht für Juden". Und weil die Professoren im Wasa-Gymnasium Erzählungen darüber für Greuelpropaganda hielten, hat der spätere Journalist seine Bilder ihnen vorgelegt.

3000 Juden werden bald nach dem Einmarsch in Wien verhaftet, Vater Rath ist darunter. Am Allerheiligentag geht Arnold zu einer Abschiedsfeier in den zweiten Bezirk. Hitlerjugend zieht brüllend durch die Straßen. Osterreichische SA-Leute reißen die frommen Juden an Barten, Schläfenlocken, ein deutscher SA-Mann greift ein: Die Juden sollen zur Arbeit gesammelt werden, nicht zum Späße-Machen. Arnold gelingt mit einem Freund die Flucht. Am Allerseelentag verläßt er die Heimat. Eine Woche später ist die ,3eichskristall-nacht".

In Haifa beendet er die Schule, wird Kibbuznik, ist 16 Jahre Mitglied der sozialistischen Jugendbewegung, er studiert an der Universität Jerusalem Geschichte und Wirtschaftskunde, geht für eineinhalb Jahre nach Amerika. Ein Zufall bringt ihn zur „Jerusalem Post". Das war vor fast drei Jahrzehnten» heute ist er ihr Chefredakteur. -:

„Sie fragen, ob ich Aggressionen gegen Osterreich habe? Die habe ich nicht, aber ich bin kritisch, weil ich leider aus eigener Erfahrung den verwurzelten An-

tisemitismus in Osterreich kennengelernt habe und mit ihm aufgewachsen bin, wie gesagt, schon Jahre vor Hitler." Ein Satz, den man immer wieder von ihm hört: „In Osterreich kann man gleichzeitig ein guter Katholik, ein guter Antinazi und ein guter Antisemit sein!"

Wenn man sich in Wien über die gestörten Beziehungen zwischen Österreich und Israel beschwert, könne man das nur tun, wenn man sich nicht der Geschichte dieser Beziehungen bewußt sei, meint Rath, denn „es ist Tatsache, daß Israel mit Österreich lange vor der Bundesrepublik diplomatische Beziehungen aufgenommen und Israel sich in diesen über dreißig Jahren so verhalten hat, als hätte es geglaubt, was in der Moskauer Deklaration steht, nämlich die Geschichte mit Österreich als dem ersten Opfer Hitlers" - obwohl es nie Wiedergutmachungsverhandlungen zwischen den beiden Staaten gab.

Israel, so Ari Rath, sei immer offen gewesen gegenüber Österreich. Selbst in Zeiten, als Kreisky Bundeskanzler war und „eine aktive Nahostpolitik nach seinem Verständnis gemacht hat, sogar hier hat man unterschieden zwischen der offiziellen Politik und dem österreichischen Volk".

Das Dilemma liegt anderswo.

Es mangelt Österreich an der Katharsis, der inneren Reinigung, am Eingeständnis der Mitschuld im schuldhaften Dulden und schuldhaften Tun. Alle österreichischen Regierungen seit 1945 haben dies versäumt, das österreichische Volk hat es nur zu gerne hingenommen.

Deutschland ist an seine Geschichte ehrlicher herangegangen, meint Rath. Die Rede Richard von Weizsäckers im deutschen Bundestag zum 40. Jahrestag der Kapitulation sei ein Musterbeispiel dafür, wie ein Staatsoberhaupt an das Gewissen der Bürger rührt, so Rath. Diese Rede war auch Gegenstand des Gesprächs zwischen Waldheim und Rath. „Ich sagte: Herr Bundespräsident, Sie könnten Geschichte machen, wenn gerade Sie ein für alle Male Österreichs Mitschuld an den Naziverbrechen offen einbekennen würden."

Nun hat er eine Vision: Daß am 12. März 1988, 50 Jahre nach dem Anschluß, so viele Menschen wie damals für den Nazismus nun gegen Antisemitismus, Rassismus und Gleichgültigkeit auf dem Wiener Heldenplatz demonstrieren …

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