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Ariadne im Original

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Nicht nur das Burgtheater wurde 200 Jahre alt, auch das Schauspielhaus in Graz hat nun sein Jubiläum: im September 1776 öffneten sich die Tore des neu erbauten Landstädtischen Theaters auf der „Stadtkrone“, neben der Burg, gegenüber dem Dom und der Universität. Seinem im Verhältnis zum „deutschen Nationaltheater“ Wiens eher bescheidenen Maßstab (wenngleich hier Nestroy sich das erste Mal als Bühnendichter vorstellte und die ersten österreichischen Wagner-Aufführungen stattfanden) entspricht auch die Art, wie das Jubiläum begangen wird: eine zwar liebevoll zusammengestellte, aber doch recht dürftige Ausstellung im Stadtmuseum, ein unverbindliches Zehn-Minuten-Referat des Schauspieldirektors, ein Feuerwerk auf dem Freiheitsplatz, gespendet von der Raiffeisenbank, und als einziges künstlerisches Unternehmen die Wiedererweckung eines intendierten Gesamtkunstwerkes im jubilierenden Theater selbst — das sieht doch in seiner Kargheit nach liebloser „Erledigung“ aus.

Damit soll nicht die Bedeutung verkannt werden, die der Festaufführung in theaterhistorischer und stilgeschichtlicher Hinsicht zukommt: zum erstenmal wurde in Österreich nun die ursprüngliche Fassung der „Ariadne auf Naxos“ gegeben. Hofmannsthal und Richard Strauss hatten das Werk — bald nach dem „Rosenkavalier“ — Max Reinhardt gewidmet. Schon nach der Uraufführung in Stuttgart 1912 erwies sich der geringe theaterpraktische Wert dieses heroisch-burlesken Operneinakters „zu spielen nach Der Bürger als Edelmann des Moliere“, weshalb sich Librettist und Komponist auch zu einer Umarbeitung entschlossen. Die nunmehrige Wiedererweckung der Erstfassung müßte vor allem als archivarische Tat ge'wertet werden, wären nicht ernstzunehmende künstlerische Stimmen (so etwa Beecham oder Strauss selbst) überliefert, die der ursprünglichen Gestalt des Werkes den Vorzug geben. Ein weiterer Grund für die Wahl gerade dieser Stückform ist die Reverenz vor den drei Kunstgattungen, die nach dem Willen der Gründer in diesem Theater gepflegt werden sollten: die erste Fassung der „Ariadne“ vereinigt als Gesamtkunstwerk ja tatsächlich alle Kunstarten an einem Abend, das Publikum soll „anfangend mit nüchternster Komödienprosa durch Ballett und Commedia dell'arte zu den Höhen reinster, wortloser Musik geführt“ werden.

Bei aller Qualität der Grazer Festaufführung, die kaum einen besseren und liebevolleren Gestalter der delikaten Partitur als den Dirigenten Ernst Märzendorfer finden hätte können, bei aller Solidität der Inszenierung Boleslaw Barlogs möchte man doch der zweiten, allgemein üblichen Fassung den Vorzug geben. Seltsam dünn und trocken wirkt der auf zwei Akte zusammengestrichene Moliere, dem Hofmannsthal nicht nur Lucile und Cleanthe, sondern mit ihnen jegliche Nebenhandlung genommen hatte: eine Digest-Fassung, die durch melodramatische Untermalung mancher Szenen und die hübschen kleinen Ballette zu einer Musik, die man sonst nur noch im Konzertsaal hören kann, nichts gewinnt.

Schade ist auch um die Zentralgestalt des Komponisten, die das Vorspiel der zweiten Fassung nicht nur musikalisch vertieft: hier ist er nur eine eher unbedeutende Randfigur im Hausrat des Jourdain. Die Oper selbst, in der noch die buffonen Einlagen wuchern und die Handlung der Seria etwas beeinträchtigen, wird trotz der störenden Randbemerkungen des zusehenden Jourdain zum herrlichen Juwel in der Intimität des biedermeierlichen Theaterraumes. Die Glanzbesetzung der Zerbinetta (ihre Arie ist hier noch nicht transponiert!) mit Donna Robin, die eine zweite Reri Grist zu werden verspricht, der Ariadne mit Marie Robinson und des Bacchus mit Josef Hopferwieser, die hohe Qualität von Märzendorfers Interpretation entzückten das Publikum mehr noch als das anschließende Feuerwerk.

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