7169131-1982_39_10.jpg
Digital In Arbeit

Arm sein mit den Armen

Werbung
Werbung
Werbung

„Er trug Jesus ständig in seinem Herzen, auf seinen Lippen, in seinen Ohren, in seinen Augen, in seinen Händen, Jesus überall.” So schreibt Thomas von Celano, der erste Biograph des heiligen Franz von Assisi: Tatsächlich ist die „Nachfolge Christi”, eine alles beherrschende, rastlose Suche seines Herrn, für Franziskus grundlegend.

Unbeschadet dieser Feststellung beginnen die Schwierigkeiten aber sofort dann, wenn man das Leben des Franziskus in seiner Bedeutung zu interpretieren anfängt. Da geschieht dem Pove-rello das gleiche wie Christus und dem Evangelium in der Weise, wie die Christen sie aufnehmen und in ihr Leben einbauen, entsprechend der einen oder anderen herrschenden Theologie.

Franziskus bringt die Gestalt seines Herrn zur Erscheinung, denn diese Gestalt ist in eine zum Reich Gottes werdende Welt eingezeichnet. Er glaubt, daß Jesus nur in der lebendigen, konkreten Existenz der Menschen und im Jetzt der Geschichte gefunden werden kann. Er entdeckt, daß sein Herr arm ist mit den Armen, daß er „sich arm gemacht hat in dieser Welt” und sich sein ganzes

Leben hindurch denen gleichstellte, die arm sind, die arm gemacht wurden, die auf irgendeine Weise ,4m Zustand des Mangels” leben. Und Franziskus, er, „der reich war”, wird arm, um dort, wo er sich befindet, dort, wo er spricht, dort, wo er handelt, in der Nachfolge des Herrn zu leben.

Er kannte die kleinen Leute, diese „Einwanderer aus dem eigenen Land”, Bauern aus der zusammenbrechenden Feudalgesellschaft, die als „Landflüchtige” zur Stadt kamen, um hier Freiheit und Arbeit zu finden. Er hat die Hoffnungen und auch das materielle Elend, das durch diese wachsende Verstädterung hervorgerufen worden war, gekannt.

Diese Lebenserfahrung ist es, die Franziskus dem Herrn übergibt. Und das um so mehr, als er bei diesen kleinen Leuten und ihren Bestrebungen Werte entdeckt, die sich nicht in dem den Armen verkündeten Evangelium finden.

Johannes XXIII. nannte als „Zeichen der Zeit” die großen Befreiungsbewegungen unserer Epoche. Man könnte sich nun fragen, ob Franziskus das, was sich damals in der Gesellschaft zu wandeln anschickte, nicht auch als „Zeichen der Zeit” ansah. Sicher entdeckt er, daß das Evangelium dort Fleisch werden muß, wo auch der Herr Fleisch angenommen hat: bei den Armen.

Die Armen vor Franziskus* Augen erfinden neue Beziehungen, die von der Möglichkeit zeugen, aus einer sogenannten sakralen, ewigen Ordnung herauszukommen. An die Stelle der hierarchischen, „vertikalen” Strukturen setzen sie „horizontale”, brüderliche—wir würden sagen: demokratische — Beziehungen: keine Herren mehr, sondern durch Wahl aufgestellte verantwortliche Männer. Keine Meister und Untergebenen mehr, sondern Brüder.

Wir wollen hier Franziskus nicht zu einem Sozialreformer machen und seine Haltung mit unseren Analysen der gesellschaftspolitischen Wirklichkeit überblenden. Es handelt sich vielmehr darum, klar aufzuzeigen, daß ihn seine Art und Weise, Christus nachzufolgen, zu den Armen geführt hat und er dort entdeckte, daß das Gotteswort in ihrem Streben nach Freiheit und Brüderlichkeit einen Mithelfer findet. Das war ein für das Wachstum des Evangeliums günstiger Mutterboden. Hier mußte man sein, weil Jesus selbst hier war. Für Franziskus war es ganz klar: ein Leben auf dem Niveau der Minderbrüder — und sogar noch darunter — war die Fortsetzung des Verhaltens Jesu. Und trotz des Druckes von Seiten der Institution hielt Franziskus bis ans Ende seines Lebens an dieser Gleichförmigkeit mit Christus fest.

Franziskus war kein politischer Aktivist, sondern ein Streiter für das Evangelium, so wie Jesus es war für das Reich Gottes. Franziskus sorgte sich nicht um eine „Machtübernahme”. Ganz wie Jesus wollte er sozusagen eine „Glückübernahme” und den Männern und Frauen seiner Zeit die Bedingungen dieser Gnade aufzeigen.

Die Brudergemeinschaft des Franziskus wird in ihrer Zusammensetzung allen Platz bieten. Gutsituierte Bürger wie Bernhard, kleine Leute wie Egidio, Adelige wie Angelo — alle haben von dem Augenblick an ihren Platz in dieser Gemeinschaft, da sie einverstanden sind, dem Evangelium zu folgen, das den Armen verkündet wird, also von dem Augenblick an, da sie ihr Wissen, ihren Adelstitel, ihren Reichtum und sogar ihre Armut für gering halten, um nur den Gott Jesu zu kennen: „er läßt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten” (Mt 5,45).

Vielleicht ist das eine Utopie. Aber doch eine vom Evangelium genährte Utopie. Und da erhebt sich nun eine Schar Menschen und macht sich daran, auf eine neue Weise zu leben: Reiche, Kleriker, Adelige und kleine Leute treten aus den Schranken ihres Wissens, ihres Geldes, ihrer Arroganz, ihrer Ressentiments und ihrer Demütigung heraus. Sich arm machen, um Jesus zu folgen, das bedeutet für die einen wie für die anderen die Gnade der Anerkenntnis ihrer gleichen Würde.

Man versteht, warum Franzisk-sus in seiner Brudergemeinschaft beharrlich hinter den Versuchungen zur Macht her ist; man begreift sein mißbilligendes Mißtrauen gegenüber dem Geld und der Kultur wegen des herrscherlichen Gebrauchs bei jenen, die darüber verfügen: „Man kann nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon” (Mt 6,24); und noch dies: „Ich preise dich, Vater, (...) weil du (die Dinge des Reiches) den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast” (Mt 11,25). Daran hält sich Franziskus.

Mit seinem weitgeöffneten Blick auf die ihn umgebende Welt sieht Franziskus, daß die Liebe verhöhnt wird. In der Kirche und in der Stadt der Menschen. Uberall Blut und Tränen, Ressentiments und Grausamkeiten, Uberforderungen und Ungerechtigkeiten. Und das bis hin an das Grab Christi in Jerusalem, wo die Christen hartnäckig darauf bestehen, das Wort der Liebe durch das Schwert zum Triumph zu führen. Franziskus weint darüber. Es ist immer noch und immer wieder die Passion des Herrn. Franziskus erfährt ihren Schmerz.

Also macht er sich auf den Weg. Unermüdlich wiederholt er einen Aufruf zum Frieden, einen Aufruf zur Liebe. Für Franziskus trägt Gott nur einen Namen: Liebe. Quell des Friedens. Das ist es, was man leben und predigen muß, damit das Unheil des Krieges und die Spaltungen zwischen den Menschen und den Städten enden.

Die Gewaltlosigkeit des Franziskus entspringt seinem Wülen, sich in die Friedensdynamik des Evangeliums zu stellen. Er erfindet neue Situationen, in denen die Gewalt nichts mehr zu suchen hat. Er treibt keine Revolutionstheorie über die Macht, sondern gestaltet mit seinen Brüdern einen Lebensraum ohne die Macht. Er schlägt kein neues Wirtschaftssystem vor, sondern nimmt dem Geld seine Ehre. Er greift nicht die Institution Kirche an, sondern übernimmt es, das Evangelium zu leben. Er siedelt sich „anderswo” an und läßt den anderen freie Wahl, sich ihm anzuschließen, oder anders gesagt, sich zu bekehren.

In seiner Leidenschaft für den Frieden bezeugt er so durch sein Handeln, daß dieser persönliche und gemeinschaftliche Friede eine Infragestellung jener Ordnung ist, die auf der Gewalt gründet.

In jener Epoche der Christenheit ist solche Verschiebung sicher revolutionär. Der Friede ist möglich, wenn man anders lebt als nach den gebräuchlichen, von den weltlichen und kirchlichen Machthabern dozierten Weisen. Auch hier wieder folgt Franziskus Jesus, der durch sein-Friedensan-gebot in der Liebe die Inhaber der Macht und der Rechtgläubigkeit derart durcheinandergebracht hat, daß er am Kreuze sterben mußte.

Man muß nach einer gewaltlosen Gesellschaft streben, so erklärte Jesus. Und Franziskus begibt sichv auf diesen Weg. Das Abenteuer Jesu hat am Galgen geendet. Und Franziskus lebt am Ende seines Lebens, erschöpft von Mißerfolgen und Verlassenheiten, von Verrat und Vereinsamung, diesen Tod des Gekreuzigten: Welch stärkeres Abbild Christi könnte man sich denken?

Franziskus ist als Abbild des gestorbenen und auferstandenen Jesus von Nazaret ein Zeichen des Widerspruchs. Und doch glauben wir: Was er getan hat, ist eindeutig. Er lebte gemäß der „Form des Evangeliums” die Armenbewegung seiner Epoche der Christenheit.

Der Autor ist Franziskaner und in Beziers/ Frankreich in der Erwachsenenbildung tätig. Der Beitrag ist stark gekürzt dem He 11/1981 der Zeitschrift CONCILIUM entnommen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung