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Arme Verwandte

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Was hatte der Auftritt der Verla- ge der Ex-DDR auf der Frankfurter Buchmesse mit dem der österrei- chischen Autoren gemeinsam? Bei- de wurden wie arme Verwandte begönnert und bemuttert. Die Ex- DDR-Verlage von westdeutschen Kollegen und Medien, eine Crew österreichischer Dichter von unse- rer Kulturpolitik.

Im einen Fall geschah es effizient, wenn auch nur in wenigen Fällen mit Aussicht auf Erfolg, im ande- ren mit mitleiderregender Tolpat- schigkeit. Anders kann man es kaum nennen, wenn das Unterrichtsmi- nisterium 16 oder 20 Autoren nach Frankfurt fliegt und in der Einla- dung treuherzig beruhigt, sie müß- ten nix vorlesen, sollten sich nur umtun. Assoziation: Gönner geben Schäflein Gelegenheit, weite Welt zu schnuppern. Vielleicht laufen sie einem Verleger über den Weg.

Es war eine Aktion der Peinlich- keiten und Pannen. Auswahl im Dunkel der Beziehungen. Eine Veranstaltung mit einer sich im Gedränge kaum erschließenden Videoproduktion. Mitgebrachter Wein, doch als Ort der teure „Hes- sische Hof", wo das „Stoppelgeld" ein x-faches vom Einkaufspreis beträgt. (Die IG Autoren demon- strierte, wie man mit Mini-Kosten Literatur an den Mann bringt.)

Besonderer Gag: die Broschüre „Hundert österreichische Autoren". Neben der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Litera- tur zeichnet ein „Verlag 3. Oktober 1990" verantwortlich. Ein Verlag also, benannt nach dem Tag der Veranstaltung, vor allem aber der deutschen Wieder- vereinigung - welch sinni- ges Signum für eine Präsen- tation österreichischer Li- teratur! Niemand kennt die Firma, die Adresse ist die des Salzburger Residenz- Verlages, der das Ganze or- ganisierte. Wollte er sich zu diesem Werk nicht beken- nen? Es blieb eine Arabeske am Rand einer Messe, die die Überlebenschancen der DDR-Verlage viel mehr be- schäftigten.

Durch das Tempo der Ent- wicklung konnte die ge- meinsame Präsentation der DDR-Verlage nicht mehr abgesagt werden, so daß sie sich, obwohl sie bereits in- ländische Verlagewaren, als Kollektivausstellung eines fremden Landes präsentier- ten. Einigen war der Ab- sprung ins Gewühl der über 2.200 bundesdeutschen Verlage gelungen. Aber die Kollektivausstellung er- leichterte die Kommunika- tion.

Grundstimmung: Offenheit für das Kommende, Neugierde, Lern- bereitschaft auf einem Hintergrund von Verunsicherung. Fast alle hier gaben nur zehn bis 20 Prozent der 68 Verlage, die vor der Wende exi- stierten, eine Überlebenschance - Tendenz eher zu zehn Prozent. Die Zukunft der zwei Dutzend nach der Wende gegründeten und insgesamt 300 angemeldeten neuen Verlage wird noch trister gesehen.

Auch jene, deren Überleben als sicher gilt, müssen Mitar- beiter entlassen und weni- ger Bücher machen. Viele der Arbeitslosen sind Lek- toren. Einer personellen Ausstattung, die sich kein westdeutscher Verlag lei- sten kann, verdankten die auf schlechtem Papier ge- druckten DDR-Bücher ihre sprichwörtliche sprachliche Qualität und Freiheit von Druckfehlern.

DieMitarbeitervon „Volk und Welt" erfuhren erst vor kurzem, daß ihre Gewinne die SED mitfinanzierten. Sie schmolzen von 120 auf 60, etwa 35 Personen wer- denübrigbleiben. Statt 150 Büchern jährlich will man künftig 70 bis 80 machen. Rechte vor allem an osteu- ropäischer und sowjetischer Literatur, von Bulgakow bis Tendrjakow, sollen das Überleben sichern.

Auch die zweistelligen Millionengewinne des Auf- bau-Verlages flössen der SED zu. Der Stab schrumpfte von 180 auf 120, die Zahl von 300 Titeln konnte gehal- ten werden. Die Rechte an Her- mann Hesse, Klaus Mann, Garcia Marquez, Joseph Roth, Jean Paul Sartre sind dahin, mit denen an Lion Feuchtwanger, Egon Erwin Kisch, Heinrich Mann, Anna Seg- hers, Arnold Zweig will sich der Verlag neben den westdeutschen behaupten.

Beim zu 50 Prozent an die PDS übergegangenen SED-Verlag Dietz vermuten die anderen fette Geldre- serven, von denen man dort „gern etwas wüßte". Von 180 Mitarbei- tern sind 60 noch da, eine Haupt- sorge gilt der Weiterführimg der Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA), deren Bände zu tausen- den zum Altpapier wanderten, während die neuen abschreckend teuer werden (168 DM).

Verlag der Nation: Statt 60 noch 50 Mitarbeiter, statt 70 nur 50 Bücher. „Eulenspiegel": Von 68 Leuten 20 noch da. Man hofft, sich bei der Hälfte der einst 120 Pro- duktionen stabilisieren zu können. Der alte FDGB-Verlag Tribüne (vor 1933 der „Vorwärts" der SPD) möchte als Treptower Verlagshaus mit Fachliteratur für Gewerkschaf- ter, Ökologie und Zeitgeschichte überleben. Auch hier flog jeder zweite.

Die Westdeutschen helfen, wo sie können. West-Reclam wendet nichts gegen die Fortexistenz von Ost-Reclam ein. „Volk und Welt" erlaubte die westdeutschen Lizenz- geber, seine billigeren Ausgaben internationaler Bestseller (John le Carre\ Umberto Eco) in den Ost- Bundesländern abzuverkaufen. Ostdeutsche Verlags-Mitarbeiter und Buchhändler durften sich bei der westdeutschen Konkurrenz schulen lassen.

Noch hat das große Aufkaufen und Sich-Aufkaufen-Lassen nicht begonnen. Doch die Weichen sind gestellt. Bonn installierte die „Treu- hand" zwecks Sanierung und Pri- vatisierung. Das Wort Sanierung wurde gestrichen.

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