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Armutszeugnis für Ungarn

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Ungarns Regierungschef Jozsef Antall hat sich vor dem Parlament von den Ansichten des stellvertretenden Vorsitzenden der stärksten Regierungspartei, des Demokratenforums, Istvän Csurka, distanziert. Csurka hat wegen angeblich antisemitischer Äußerungen einen Sturm der Entrüstung - auch im Ausland -verursacht.

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Ungarns Regierungschef Jozsef Antall hat sich vor dem Parlament von den Ansichten des stellvertretenden Vorsitzenden der stärksten Regierungspartei, des Demokratenforums, Istvän Csurka, distanziert. Csurka hat wegen angeblich antisemitischer Äußerungen einen Sturm der Entrüstung - auch im Ausland -verursacht.

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Tom Läntos, ungarischstämmiger Abgeordneter des US-Kongresses droht mit der Einberufung einer Sondersitzung der Körperschaft, die die Äußerungen Csurkas diskutieren soll. Die Budapester Regierung hat in einer Erklärung vor extremen Auftritten sowie vor Erscheinungen gewarnt, die die Demokratie sowie den inneren Frieden des Landes gefährdeten.

Csurka, die führende Figur des populistischen Flügels im Demokratenforum, behauptete neulich in einem Aufsatz, eine internationale jüdische Bewegung mache ihren Einfluß bei der liberalen sozialistischen Opposition geltend und sorge somit dafür, daß Kräfte des alten Systems vor allem bei den Massenmedien ihr Unwesen ungestört weiter treiben; darüber hinaus bestimme sie auch noch das Schalten und Walten des Staatspräsidenten.

Zum Schutze von Recht und Ordnung empfahl er den Einsatz der Polizei gegen die Gegner der Demokratie, und indem er den Nationalsozialismus entschieden verurteilte, versuchte er den Begriff „rechts" zu rehabilitieren.

Dabei bediente er sich einer ober-

flächlichen und deshalb auch verführerischen Logik, und verzichtete großzügig auf jedwede Beweisführung.

Der Vorstand des Demokratenforums hatte die Studie zunächst einmal als eine parteiinterne Angelegenheit behandeln wollen, er ließ sich aber von der Angst um den guten Ruf des Landes anstecken und riet dem Regierungschef, sich vom Autor zu distanzieren.

Einige Forum-Führer hoffen auch noch, Csurka auf diese Weise sogar loszuwerden; schließlich ist er in der Studie auch mit der Partei hart ins Gericht gegangen und forderte sogar den Rücktritt des gesundheitlich sichtlich angeschlagenen Antall.

In Wirklichkeit ist die Csurka-Af-färe erst durch die Art der Reaktionen zu einem Armutszeugnis für die ungarische Demokratie geworden. Die Medien brachten nämlich fast ausnahmslos nur Ausschnitte aus der Studie und kommentierten sie nach eigenem Geschmack - öfter auch dementsprechend leidenschaftlich und mit Tatsachen genauso großzügig umgehend, wie der Autor selbst. Es ist niemandem eingefallen, den Aufsatz als eine Äußerungsform der Meinungsfreiheit zu begreifen.

Faschistische Bewegung?

Der freilich nicht existierenden internationalen jüdischen pressure group steht nun der Faschist Csurka gegenüber, „dessen Weg nach Rostock führt".

Und so kommt es, daß gar nicht mehr davon gesprochen wird, was er nun wirklich schrieb, sondern davon, was er bloß aufgrund der ihm angehängten Attribute sein könnte. Dabei enthält der Aufsatz keinerlei Passa-

gen, die die Menschenrechte auch nur andeutungsweise in Frage stellen würden - dafür soll allerdings dem Begriff „Lebensraum" in einer sagenhaft bornierten Weise ein neuer Inhalt gegeben werden.

Dies als NS-Gedankengut dürfte aber kaum ausreichen, um von einer faschistischen Bewegung, die bereits ihren Führer gefunden habe, zu sprechen.

Rückzug ins Private

Woran es in Ungarn mangelt, ist das Vermögen, Gedanken in der Öffentlichkeit ohne ideologische Attribute, ohne Emotionen und Leidenschaften, autonom, gemäß der Disziplin und den Normen der Vernunft zu formulieren. Dies gilt vor allem für jene Schicht, die heutzutage angibt, „die Demokratie zu machen".

Die Mehrheit der Bevölkerung kümmert sich allerdings wenig um solche Angelegenheiten: sie ist in den vergangenen Jahrzehnten daran gewöhnt worden, sich in die Privatsphäre zurückzuziehen und die öffentlichen Dinge stets im Spiegel der Preise von Lebensmitteln und der gerade ersehnten Güter zu beurteilen.

Weltanschaulicher oder politischer Streit ist dabei überflüssig: der alte Spruch „Frieden ist besser" hat nach wie vor seine Gültigkeit. Die Unfähigkeit der ideellen Auseinandersetzung bleibt das Privileg weniger, die Gefahren stets nur auf der anderen Seite erkennen können. Und das ist gerade die Gefahr, die nicht unterschätzt werden dürfte; selbst wenn sie vorläufig noch auf einen Kreis von Schrift- und Wortgelehrten beschränkt bleibt.

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