6802186-1971_40_09.jpg
Digital In Arbeit

Arrondierung auf der Landkarte

19451960198020002020

Drei Jahre nach dem Einmarsch der Truppen der Warschauer-Pakt-Mächte in die Tschechoslowakei sieht die Bilanz des inzwischen erfolgten Geschehens reichlich unterschiedlich aus — von welcher Seite sie betrachtet wird, von der Moskaus und des Ostblocks, oder von der Prags bzw. der Tschechen und Slowaken.

19451960198020002020

Drei Jahre nach dem Einmarsch der Truppen der Warschauer-Pakt-Mächte in die Tschechoslowakei sieht die Bilanz des inzwischen erfolgten Geschehens reichlich unterschiedlich aus — von welcher Seite sie betrachtet wird, von der Moskaus und des Ostblocks, oder von der Prags bzw. der Tschechen und Slowaken.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Moskauer Bilanz sieht, kurz- und mittelsfristig betrachtet, durchaus positiv aus; die Stellung des für den Einmarsch verantwortlichen Parteichefs Breschnjew ist gefestigt, die Lage in der Tschechoslowakei ist in Moskauer Sicht konsolidiert, die polnischen Aufstände haben die Entwicklung nicht mehr beeinträchtigen können; sowjetische Truppen stehen nunmehr — von Rumänien abgesehen — mit Gewehr bei Fuß in allen Ostblockländern.

Auch der Westen hat rasch vergessen und hat — denken wir etwa an die Bonner Bundesregierung und die Politik Brandt-Scheel — intensivere Kontakte gepflegt und weitreichendere Abkommen denn je geschlossen. Die Breschnjew-Doktrin ist — ebenfalls mit Ausnahme von Bukarest — im ganzen Ostblock anerkannt. Vor allem aber haben alle heute maßgeblichen tschechischen und slowakischen Spitzenpolitiker den vor drei Jahren erfolgten Einmarsch keineswegs mehr als Vergewaltigung eines Brudervolkes, als Verletzung des Völkerrechts, sondern ganz im Gegenteil als erwünscht, erbeten und dringend notwendig bezeichnet.

Trotzdem muß — gerade angesichts einer von den Sowjets erstrebten europäischen Sicherheitskonferenz — immer wieder unterstrichen werden, daß durch den 20. und 21. August 1968 das Kartenbild Europas unvermindert geändert erscheint. Im nördlichen Nachbarland Österreichs stehen sowjetische Divisionen, wo sie seit Kriegsende nicht mehr gestanden waren; mehr noch: sie besetzten ein Gebiet im Westzipfel Böhmens, das bei Kriegsende nicht von sowjetischen Truppen, sondern von amerikanischen Einheiten besetzt worden war.

Der Einmarsch brachte also keineswegs eine (vielleicht verständliche) Einzementierung der Kriegsund unmittelbaren Nachkriegsverhältnisse; er zeigte nicht nur das sowjetische Bestreben in seinem europäischen Vorfeld auch nur bescheidene Änderungen zu verhindern. Er arrondierte gleichzeitig das unmittelbare sowjetische militärische Einflußgebiet in Europa in einer sehr großzügigen Art und Weise.

Einseitige politische Geschäfte

Die sowjetisch-tschechoslowakischen Gespräche, die nach dem August 1968 durch mehr als zwei Jahre geführt und die Verträge, die in dieser Zeit abgeschlossen wurden, zeigen nicht nur die eindeutige Vorrangstellung der Sowjets und die Hilflosigkeit der tschechischen und slowakischen Gesprächspartner; sie zeigen vor allem die völlige Einseitigkeit aller Abmachungen. In allen seither abgeschlossenen Verträgen hat Prag für seine unterwürfigen Deklamationen weder auf politischem, noch auf wirtschaftlichem oder auf militärischem Gebiet (hier vor allem auf dem Sektor der Besatzungstruppen) auch nur die geringste Gegenleistung oder Gegengabe erhalten. Die immer wieder unterstrichenen Deklarationen der Freundschaft und Sicherheit durch den Ostblock liegen zudem in erster Linie im Interesse des Ostblocks und können kaum als Gegengabe gewertet werden.

Die ersten Gespräche und Abkommen erfolgten noch unter Dubček, vor allem unter Ministerpräsident Cemik, der das erste sowjetischtschechoslowakische Abkommen zu unterzeichnen hatte, was ihn allerdings nicht davor rettete, wenig später rücksichtslos entfernt zu werden. Die eigentliche Unterwerfung erfolgte schließlich unter Husäk und Štrougal, wobei zumindest Husäk — beschränkt — die Ausrede zur Verfügung hat, er habe etwas auszubaden, woran er ursprünglich keinen Anteil hatte. Dieses „beschränkt" will andeuten, daß Husäk als stell earto vertretender Ministerpräsident während des Prager Frühlings seinerzeit keine unmaßgebliche und drittrangige Position innehatte.

Einschwenken in eine völlig konforme Außenpolitik

War auch die Prager Außenpolitik während des Prager Frühlings, verglichen mit den Re-Demokratisierungsbestrebungen, harmlos; waren die Ansätze einer neuen Außenpolitik gewiß sichtbar, aber, alles in allem, kaum beruhigend, so schien Moskau vor allem die Kombination der neuen innenpolitischen und die Ansätze einer neuen außenpoliti schen Linie gefährlich — im Gegensatz etwa zu Rumänien, wo Moskau keinerlei innenpolitische Bedenken haben mußte.

Gewiß ist die seinerzeit bestehende engere Bindung zu Polen und zur DDR nicht reaktiviert worden, erst recht allerdings auch nicht die Tendenz zu einer neuen Bindung im Südosten mit Rumänien und Jugoslawien. Dieses ,.Schweben im Ostblock“ ohne allzu enge Bindungen und Freundschaften ist ja eigentlich genau das, was Moskau wünscht.

Prag ist aber nicht nur zur alten farblosen, moskautreuen Außenpolitik zurückgekehrt. Gerade im Zusammenhang mit der aktiver gewordenen deutschen Ostpolitik erkennt man, wie Prag auf außenpiitischem Gebiet mehr als bisher ins Hintertreffen gekommen ist. Es ist weder umworben worden, noch haben die bisherigen Gespräche mit den Bonner Gesprächspartnern — sehr zum Unterschied zu den vorausgegangenen Gesprächen mit Moskau und Warschau — eine Auflockerung der Verhärtung gebracht. Nicht zuletzt hängt dies damit zusammen, daß die Prager Außenpolitik seit Jahren alles andere als flexibel ist und daß ein System von Einbahnstraßen, das man aufgebaut hat, kaum in der Lage ist, den Verkehr zu beschleunigen.

Auch der Vergleich des neuen tschechoslowakischen Freundschaftsvertrages mit der Sowjetunion mit dem rumänischen, der wenig später abgeschlossen wurde, veranschaulicht Prags heutige Stellung.

Kein Wort vom Abzug

Über die Möglichkeit des Abzuges der Besatzungstruppen ist eigentlich nur in den allerersten Wochen — und nur von tschechischer Seite — gesprochen worden.

Tatsächlich abgezogen sind auch nur die Truppen Ungarns, Bulgariens, Polens und der DDR; geblieben sind — bis zum heutigen Tag und bis auf weiteres — die sowjetischen Truppen. Gewiß, die Spannungen der ersten Wochen und Monate sind nicht mehr so spürbar, immerhin blieb die starke Belastung der Tschechoslowakei — nicht zuletzt auf einem bisher schon prekären Gebiet, dem der Wohnungen. Und wenn man gerade im Ostblock gern den Vergleich zu stationierten amerikanischen und britischen Einheiten im NATO-Bereich heranzieht, so erkennt man bald, daß dieser Vergleich, wo immer man ihn anpackj, hinkt. Nicht zuletzt beim Beginn der Truppenstationierung selbst.

Auch auf wirtschaftlichem Gebiet wurde der Tschechoslowakei kein Entgegenkommen von Seiten des Ostblocks gezeigt. Die prekäre

Politik der Novotny-Zeit mit strafferer zentralistischer Lenkung ergänzt das Unbehagen auf wirtschaftlichem Gebiet. Der recht umständlich und langwierig ausgearbeitete neue Fünfjahresplan der Jahre bis 1975 zeigt — parallel zur Entwicklung auf außenpolitischem Gebiet — eine stärkere Verknüpfung mit der Wirtschaft des Ostblocks. Es ist dies ebenfalls kein Entgegenkommen gegenüber Prag, sondern eine straffere Umarmung, die außenpolitische und militärische Maßnahmen sehr wirkungsvoll ergänzen.

So zeigt sich nach dem dritten Jahrestag des Einmarsches Prag in einer gewiß konsolidierten, keineswegs aber beneidenswerten Situation. Und einer noch geringeren Bewegungsfreiheit als in der Novotny-Zeit steht eine straffere Umarmung der Ostblockfreunde bei einem gewiß geminderten Mißtrauen gegenüber.

finanzpolitische Lage, die durch ein gewisses Lockerlassen der Zügel auf dem Lohnsektor im Jahre 1968, aber auch noch 1969 entstanden war, mußten die Tschechen selbst durch radikale antiinflationistische Maßnahmen beseitigen. Der durch zwei Jahre gehandhabte Lohn-Preis- Stop bedeutete ein Opfer der Gesamtbevölkerung. Ein gleichzeitiges Zurückpendeln in die Wirtschafts-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung