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Arten, zu verstummen

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Eines der größten Probleme der gegenwärtigen Kunstschaffenden ist die Verständigung. Noch niemals beispielsweise war die Kluft zwischen der Sprache der Dichtung und der der Kommunikation dienenden Sprache so groß, und vielen Autoren erscheint als die einzige Autgabe das Durchbrechen eines sich Entwicklungen mehr und mehr verschließenden riesenhaften Sprachfossils.

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Eines der größten Probleme der gegenwärtigen Kunstschaffenden ist die Verständigung. Noch niemals beispielsweise war die Kluft zwischen der Sprache der Dichtung und der der Kommunikation dienenden Sprache so groß, und vielen Autoren erscheint als die einzige Autgabe das Durchbrechen eines sich Entwicklungen mehr und mehr verschließenden riesenhaften Sprachfossils.

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rWes gdlt vor allem für zum Tedl vom Strukturalismus, zum Teil von linken Gruppen beeinflußte Autoren, wobei zu bedauern ist, daß es, was erstere anlangt, im deutsdisprachi-gen Raum außer Handke keine nennenswerten Namen gibt. Die nun zum Großteil mit linguistisdien, soziologischen, sprachwissenschaftlichen Problemen beschäftigten Autoren können sich, so scheint es, einer gewissen theoretischen Arbeit nicht entziehen. Daneben entsteht ein Vakuum. Wir wissen momentan nicht viel vom Dichter und seinem Verbleib. Paul Celan beging Selbstmord. Und für seine zum Teil anonymen Schicksalsgefährten mag gelten, was die Herausgeber der „Speichen 70" anläßlich seines Todes formulierten: „Wie aber verhindern, daß auch sein Verstummen uns zum Beispiel wird? Angesichts dieses Toten — wir wissen es nicht. Dennoch unsere Aufgabe."

In dieser Situation ist die Gestalt eines Dichters von Interesse, dec, obwohl Dramatiker imd Verfasser von Prosawerken, schon von seiner Einstellung zum Wort her als Dichter, in der eingeengten Bedeutung dieses Wortes zu bezedciinen ist, nämlich Samuel Beckett. Es macäit ihn nicht nur die Tatsache interessant, daß er trotz seiner akzentuiert feindlichen Einstellung dem Leben und der Welt gegenüber mit dem Nobelpreis ausgezeiicimet wurde. Es macht ihn aucdi die Tatsacäie interessant, daß er bis jetzt starr bei dem verblieb, was er der Welt, seit er zu sciireiben begann, mitteilen zu müssen glaubte. Femer, daß er allen Verlockungen der Wissensjchaft mit der Hartnäckigkeit eines irischen Bauern widerstand. Wer etwa den nach 1945 geschriebenen Roman „Watt", der erst jetzt bed Suhrkamp herauskam, mit den ProsastOcken „Resddua", die in den letzten vier Jahren gesdirieben wurden, vergleicht, dem wird vielleicht auffallen, daß er hier nur zwei versdiie-dene Arten, zu verstummen, vor sich hat, zwei verscWedene Arten, nichts mehr zu sagen, wobei im Falle des Romanes „Watt" der Form selbst in der Belustigung über jede Form mehr Genüge getan ist Beckett schrieb den Roman In Vaucluse (Frankreich) als Landarbeiter und von der Gestapo Verfolgter. In diesem Zusammenhang ist es nicht uninteressant, darauf hinzuweisen, daß

Beckett, aus einer wohlsituierten Familie stammend, alle Voraussetzungen dafür besaß, niciit nur Undversitätsprofessor zu werden — er war „lecturer" am Campbell College in Belfast —, sondern auch tadelloser Kricketspieler. Was er, das Leben eines gentleman und sportsman ausschlagend, auf sich nahm, war zunächst politischer Widerstand in Frankreich, Flucht und Verfolgung. Was er sodann nach dem Krieg den sich aus Rauch und Trümmern herausarbeitenden Menschen mitzuteilen hatte, war in allen Variationen immer nur dies: es lohnt sich nicht. Aber Becketts Prosawerke, zu denen auch das jetzt übersetzte „Watt" gehört, hatten keinen besonderen Widerhall. Die Leerräume, endlosen Wiederholungen, retardierenden Einschübe, erwecken den Eindruck zerdehnter Kraftlosigkeit, wenn auch Kalauer und Komik den Einitopf gehörig pfeffern. Es ist aber auch nach Beckett nicht gelungen, den Weg des an die Oh>erfläche dringenden Bewußtseins dramatischer zu schildern, als etwa in der Szene mit den Klavierstim-mem. Was in „Watt" da und dort angedeutet ist, hat Beckett später den Welterfolg gebracht. Es ist unter anderem vielleicht auch jene Lustigkeit, die keine hintergründige ist, weU es keinen Hintergrund mehr gibt, eine Lustigkeit ohne Netz, edne irisch-langweülge Lustigkeit. Alle Figuren im „Endspiel", aber auch in „Warten auf Godot" sdnd ja zunädist einmal lustig. Daß die Schrecken ihrer Situation ihnen ndcäit bewußt werden, erweckt die Zusdiauer zu Teilnahme und Entsetzen. Weiter Sundes gewisse lynisäie Partien; die Beckett als Meister zeigen. In den lyrischen Prosastücken „Re-gidua" hat sich Beckett endgültig von jeder Form befreit Stüistisdi nähert er sich im Gebrauch des Wortes unter VemacWässigung seiner se-mantiscdien und syntaktischen Dimension einem sprachlichen Hermetismus.

Inwieweit dies fortisetzbar ist oder nur ein fortgesetztes Verstummen, läßt sich noch nicht sagen.

WATT. Roman von Samuel Beckett. Bibliothek Suhrkamp. 309 Seiten. — RESIDUA. Von Sam.uel Beckett. Bibliothek Suhrkamp. DM 6.80.

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