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Arthur Scargills erbitterter Kampf

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Britanniens Bergarbeiter-Führer Arthur Scargill erhielt beim Gewerkschaftskongreß in Brighton eindrücklich die Solidarität der Gesamtbewegung zugesichert. Dennoch gerät er zusehends in Isolation.

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Britanniens Bergarbeiter-Führer Arthur Scargill erhielt beim Gewerkschaftskongreß in Brighton eindrücklich die Solidarität der Gesamtbewegung zugesichert. Dennoch gerät er zusehends in Isolation.

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Für einmal blieben auf dem 116. Gewerkschaftskongreß im englischen Badeort Brighton brennende Existenzfragen der gesamten Bewegung — rapider Mitgliederschwund, Ebbe in den Kassen, Ausschluß auch nur geringer Mitbestimmung in Angelegenheiten der Regierung — in den Hintergrund gedrängt.

Weder der scheidende Generalsekretär des Dachverbandes, Len

Murrey, noch der Nachfolger Norman Wallis beherrschten den Kongreß, sondern ein Mann, der die britische Politik und die Wirtschaft des Landes schon seit über einem halben Jahr in Atem hält: der militante Führer der Bergarbeiter, Arthur Scargill. Mit der eindrücklichen Show von brüderlicher Unterstützung von Seiten der Gesamtbewegung und zugesichert durch den Chef der Labourpartei, Neil Kinnock, konnte Scargill sehr wohl zufrieden sein.

Die befürchteten Radau- und Einschüchterungsszenen der handgreiflichen Garden des

Bergarbeiterführers blieben aus. Allein die gewaltsamen Zusammenstöße von Streikposten mit der scharenweise eingesetzten Polizei von Yorkshire, Notting-hamshire und Kent erinnerten in jedem Augenblick an den Grad der Schärfe, den dieser Disput erreicht hat.

Die zum äußersten entschlossene Führung der britischen Kohlearbeiter weiß, daß der anvisierte totale Sieg nur erreicht werden kann, wenn die Aktion das gesamte Netz der Industrie lahmlegt. Dazu braucht sie die aktive Mitarbeit der befreundeten Verbände, die ihre Delegierten nach Brighton geschickt hatten.

Nach der Rhetorik des Kongresses zu schließen ist den Bergarbeitern denn auch die umfassende Unterstützung sicher: Materielle Hilfe für die darbenden Familien der Streikenden, denen der Ausstand die schwersten Opfer abverlangt, Sympathiebekundungen und parallele Aktionen an der industriellen Front.

An Worten fehlt es nicht, wie aber werden die Taten aussehen? Der Kongreß hat weder die Macht, möglicherweise auch nicht den Willen, die Unterstützung der Bergarbeiter allen Verbänden zur Pflicht zu machen. Andere Gewerkschaften sind nicht weniger als die Bergleute von Jobverlusten bedroht und Sympathieaktionen könnten deren Dilemma nur verschlimmern.

Die Arbeiter in der Stahlindustrie etwa sind mit drohenden Schließungen von Werken konfrontiert, besonders wenn der Brennstoffnachschub ausbleibt. Sie sind, wie andere auch, nicht gewillt, ihre eigene Existenz zu opfern, um den Knappen einen Durchbruch zu ermöglichen.

Die Arbeiter in den Kraftwerken sind in wesentlich stärkerer Position. Legten sie zur Unterstützung der Bergleute die Arbeit nieder, dann ginge der Industrie buchstäblich der Strom aus. Sie sind aber nicht gewillt, ihre mächtigen „industriellen Muskeln“ aus Solidarität zu gebrauchen und das Land in ein Chaos zu werfen.

Die Transportarbeiter, Urheber des Streiks mit großen Lücken in den Häfen, machen auch nur zögernd mit. Lastwagenfahrer, fast durchwegs Angehörige dieser Gewerkschaft, verfrachten immer noch pro Woche eine halbe Million Kohletonnen zu den Kraftwerken. Vergangenen Freitag verluden die Transporteure von In-ningham in Lincolnshire Eisenerz für das gefährdete Stahlwerk von

Scunthorpe. Solche Ereignisse zeigen die Grenzen der Empfehlung durch den Kongreß, die Streiklinien der Bergarbeiter nicht zu übertreten.

Einen geringen Einfluß auf das Zustandekommen von Friedensgesprächen hat sich der Dachverband TUC freilich gesichert. Scargill und MacGregor reden wenigstens wieder miteinander, Resultat der verschiedenen Initiativen, die im Kongreßzentrum von Brighton vorgebracht worden sind. Nach Lage der Dinge ist damit schon einiges erreicht, auch wenn eine Lösung noch nicht am Horizont auftaucht.

Diese erfordert Konzessionen von beiden Seiten, diese aber sind bisher nur von der Kohlebehörde vorgebracht worden: großzügige Abfindungen für Kumpel, die freiwillig aus dem Arbeitsprozeß ausscheiden, Revision des Planes zur Schließung verlustbringender Gruben oder wenigstens Aufschub, Konsultationen über das künftige Geschick von Werken, die vom wirtschaftlichen Standpunkt aus nicht mehr zu halten sind.

Die Gegenseite hat sich dagegen in die stereotype Forderung „keine Schließungen“ versteift. Jede Lockerung ist gleichzusetzen mit Niederlage — zumindest in Scargills Augen.

Die Regierung indes ist eher geneigt, Ian MacGregor vor neuerlichen Zugeständnissen abzuhalten. Insofern wird die strikt ver-f ochtene Politik, sich aus dem Disput herauszuhalten, durchbrochen. Premierministerin Margaret Thatcher sammelt Gutpunkte in diesem Disput: Die gewaltsamen Ausschreitungen an den Streikpostenlinien, jedermann auf dem TV-Schirm geboten, schrecken ab.

Und da ist noch die Weigerung Scargills, seine Bergleute in einer geheimen Abstimmung abstimmen zu lassen. Da ist der Schatten von Konfusion, der über dem Abstimmungsergebnis für den Dok-kerstreit in Tilbury liegt. Auch Gewerkschafter rufen nun, um offensichtliche Manipulationen auszuschließen, nach der Wahlurne. Die Regierung fordert das schon lange, sie will die Verbände „demokratisieren“, das heißt, das unverfälschte Urteil der Mehrheit zustande bringen.

Die Kohlevorräte reichen aus, um die Industrie unbeschadet über den nächsten Winter hinwegzubringen. Und so lange wird es vermutlich auch dauern, bis sich auch Scargill dazu bequemt, Zugeständnisse zu machen, ohne eine Niederlage konzedieren zu müssen.

Der Schlüssel dazu liegt bei den anderen Gewerkschaften, besonders jenen, die selbst ums Uberleben in den Werkshallen und Büros kämpfen. Unweigerlich manövriert sich Scargill in eine Situation, die ihn von anderen Verbänden isoliert. Eine solche Entwicklung jedoch würde dazu führen, daß Scargill die Schuld den Gewerkschaften anlastet, die nicht einhalten konnten, was sie Brighton versprochen haben.

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