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Asiatischer Titoismus?

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Im Mai 1975 verschwand das Thema Vietnam sehr rasch aus den Spalten der Weltpresse. Das Phänomen wiederholt sich immer wieder: Verschwindet ein Land hinter dem Eisernen oder hinter dem Bambusvorhang, so wird darüber nichts mehr berichtet, und das Interesse wendet sich anderen Problemen zu. Dadurch wird der Eindruck erweckt, in jenen Ländern sei nun alles in Ordnung. Handelt es sich dabei um den wohlkalkulierten Teil eines großen Planes, oder zeigt sich hier nur der höchst willkommene Nebeneffekt der Abkapselung? Zensur, Nachrichtensperre und Ausweisung von Journalisten seitens eines westlichen Staates würden Stürme der Entrüstung hervorrufen; bei kommunistischen Regierungen quittiert man solche Maßnahmen fast mit Apathie, was jenen sehr zustatten kommt.

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Im Mai 1975 verschwand das Thema Vietnam sehr rasch aus den Spalten der Weltpresse. Das Phänomen wiederholt sich immer wieder: Verschwindet ein Land hinter dem Eisernen oder hinter dem Bambusvorhang, so wird darüber nichts mehr berichtet, und das Interesse wendet sich anderen Problemen zu. Dadurch wird der Eindruck erweckt, in jenen Ländern sei nun alles in Ordnung. Handelt es sich dabei um den wohlkalkulierten Teil eines großen Planes, oder zeigt sich hier nur der höchst willkommene Nebeneffekt der Abkapselung? Zensur, Nachrichtensperre und Ausweisung von Journalisten seitens eines westlichen Staates würden Stürme der Entrüstung hervorrufen; bei kommunistischen Regierungen quittiert man solche Maßnahmen fast mit Apathie, was jenen sehr zustatten kommt.

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Ob es um die Umerziehung oder um die Umiwandlunig der Wirtschaft Südvietnams 'gebt — in jeder Hinsicht gewinnt man den Eindruck einer wohlüberlegten Planung auf lange Sicht. Ohne Hast, mit asiatischer Ruhe und Gründlichkeit wird vorgegangen. Allem Anschein nach hat sich Phaim Van Dong gegenüber dem General Vo Nguyen Giap, der für eine rasche und rücksichtslose Angleicbung an die nordvietnamesischen Verhältnisse eingetreten war, durchgesetzt. Die Macht ist eindeutig in den Händen der Armee und der Partei, es besteht kein Anlaß zu nervöser Eile.

So hat sich die Wirtscbaftsstruk-tur Südvietnams noch nicht sehr verändert. Doch ist an der fortschreitenden Verstaatlichung der Industrie und an der Kollektivierung der Landwirtschaft nicht zu zweifeln, ebensowenig an der rigorosen Umwandlung der Gesellschaft.

Trotz des behutsamen Vorgehens flammt ab und zu noch bewaffneter Widerstand auf. Es sind meistens kleine Gruppen, die ihrem Unmut in verzweifelten Aktionen Luft machen. Aber ihr Beginnen ist chancenlos, und es gibt auch keine auswärtige Macht, die sich ihre Unterstützung zum Ziel gesetzt hätte.

Am schwersten haben es die neuen Herren mit der Bevölkerung des Berglandes. Das große Interesse der Machthaber an der Ausbeutung der Bodenschätze dieser Region sowie die religiösen und nationalen Besonderheiten der Bewohner erzeugen Spannungen, die zur Entladung drängen. Man gibt sich in Saigon keine Mühe, diese Schwierigkeiten au verheimlichen. Im Rundfunk und in der Parteizeiitung wurde unumwunden von tausenden Aufständischen gesprochen, die der Armee in dem fraglichen Gebiet in die Hände gefallen seien. An dem Erfolg der Diszipliinierungskampagne zweifelt niemand.

Die Armee ist der Stolz Nordvietnams und aller jener Südvietnamesen, die sich dem Patriotismus kommunistischer Prägung verschrieben haben. Mit zwanzig kampfstarken Divisionen, auf den blutigen Schlachtfeldern des langen Krieges erprobten Truppen, hat sie im ganzen südostasiatischen Raum nicht ihresgleichen.

Aber in ihrem Vorhandensein allein steckt der Keim gegenwärtiger und zukünftiger Probleme. Sie beziehen sich nicht nur auf mögliche Spannungen zwischen der Heeresleitung einerseits und der Staatsund Parteiführung anderseits, sie liegen zugleich in der einem militärischen Apparat solchen Ausmaßes innewohnenden Eigengesetzlichkeit.

Man setzte die Soldaten beim Wiederaufbau ein Sie halfen bei den Aufräumungsarbeiten in den zerstörten Ortschaften, bei der Wiederherstellung der Verkehrswege zwischen dem Norden und dem Süden und beim Aufforsten der berüchtigten entwaldeten Zonen. Aber das war und ist nur einev Interimslösung. Einmal kommt der Tag an dem die Armee darauf bestehen wird, daß ihr neue, echte Aufgaben gestellt werden.

Die politische Auswirkung dieser vorhersehbaren Dynamik wird in einer kräftigen Belebung des vietnamesischen Hegemoniaistrebens im indochinesischen Raum bestehen.

In Vietnam wird China, der große Nachbar, wegen seiner Leistungen zwar bewundert, wegen seiner Ubermacht aber zugleich gefürchtet. Das daraus erwachsende Streben nach Eigenständigkeit mündet in einen machtvollen Drang nach Südwesten, um die Basis der Unabhängigkeit zu verbreitem.

Laos betrachten die Patrioten in Hanoi heute schon als terram nostram, und in Kambodscha erwarten sie eine ihnen genehme Weiterentwicklung, da die Kader der Khmer Rouges von ihnen ausgebildet wurden. Der Druck auf Thailand wird sich verstärken, wenn die Zeit dafür reif ist. Das erste Streitobjekt wird wahrscheinlich der Nordosten des Landes sein, jene Provinzen, wo bedeutend mehr Lao als Thai siedeln. Die Region ist überreich an nutzbaren Wasserkräften, für einen Staat mit großen Industrialisierungsplänen also von größtem Interesse.

Ideologisch nimmt Vietnam gegenüber China eine ähnliche Stellung ein wie Tito-Jugoslawien gegenüber der Sowjetunion^ Diese eigenartige Konstellation bringt es mit sich, daß die Sowjets die Anliegen der Vietnamesen fördern, unbeschadet der Tatsache, daß sie in Vietnam nicht in so hohem Ansehen stehen wie die Chinesen.

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