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Asos gegen Jusos

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Einige Wochen früher als in den übrigen Jahren wird sich diesmal das Interesse in der Bundesrepublik Deutschland, aber sicher auch in vielen anderen Ländern, auf die nüchterne und farblose Stadt Hannover richten. Die Messemetropole wird vom 10. bis zum 14. April in ihren Mauern den Bundesparteitag der SPD beherbergen und schon jetzt wird gemunkelt, daß „Hannover 1973“ für die bundesdeutschen Sozialdemokraten eine Wende bedeuten soll. Die in letzter Zeit nicht mehr abklingenden Querelen zwischen den einzelnen Gruppierungen in der SPD, durch Einigkeitsappelle von der Parteispitze her in Grenzen gehalten, und der unlängst zu Ende gegangene Kongreß der Jungsozialisten markieren, was auf die SPD zukommt.

Zunächst sollte in Hannover vor allem das Langzeitprogramm, das die SPD-Politik für das nächste Jahrzehnt umreißt und von einem Team unter Leitung von Finanzminister Helmut Schmidt ausgearbeitet wurde, beraten und nach Modifikationen wohl auch beschlossen werden. Nach dem Urteil der Jusos, die sich auf dem hannoverschen Bundesparteitag eine stattliche Zahl von Vertretern ihrer Richtung — Schätzungen gehen bis zu 40 Prozent — ausrechnen, ist das Langzeitprogramm bereits erledigt. Als „technokratisches Lesebüch“ auf dem Juso-Kongreß in Bad Godesberg abgetan, wird Schmidt das in „politisch-ökonomischer Orientierungsrahmen bis 1985“ umbenannte Programm kaum durchsetzen können.

Auf dem Kongreß in Hannover wird vielmehr offen der Kampf zwischen den verschiedenen Gruppierungen der SPD ausgetragen werden, von denen die der Jusos die markanteste ist. Dabei haben die Jungsozialisten mit ihrem jüngsten Kongreß ihre Position eher gestärkt, auf keinen Fall geschwächt. Zwar ließ der Bundesgeschäftsführer der SPD, Holger Börner, nachher durchblicken, daß gegen einige Jusos Parteiausschlußverfahren eingeleitet werden könnten. Damit dürften vor allem jene Vertreter der DKP-nahen „Stamokap“-Gruppe gemeint sein, die einen Marxismus leninistischer Prägung vertreten.

Selbst die Drohungen Börners gegen diese, wie sich in Bad Godesberg gezeigt hat, zahlenmäßig doch schwache linke Gruppe, fand in der SPD-Spitze keine ungeteilte Zustimmung. Erhard Eppler, Entwicklungshilfeminister und einer der „Linken“ in der SPD-Prominenz, sprach sich gegen solche Verfahren und für andere Methoden der Klärung und Abgrenzung der unterschiedlichen Standpunkte aus. Er konnte dabei auf die Jusos selbst verweisen, denen es in Godesberg, wohl zum Leidwesen der Unions-Opposition, gelungen ist, die extrem linke Opposition in den eigenen Reihen im Zaum -zu halten und in der theoretischen Diskussion klar abzulehnen.

Mit der Ablehnung der Stamo-kap-Theorien und einer Vermeidung direkter Angriffe gegen die SPD-Spitze haben die Jusos ihre Position für Hannover gefestigt. Es wird dabei abzuwarten sein, wie weit in Hannover nicht doch an der weitgehend mit der Stamokap- Gruppe übereinstimmende Gesellschafts-analyre der Jusos Kritik geübt werden wird. Beide Gruppen sind sich nämlich darin einig, daß in der Bundesrepublik ein „staatsmonopolistischer Kapitalismus“ herrscht, in dem der Staat zu einem Herrschaftsinstrument des „Monopolkapitalismus“ geworden ist. Während aber die Stamokap-Leute diesen Zustand mittels einer straffen Kaderpartei im leninistischen Sinne überwinden wollen, wollen die übrigen Jusos zwar auch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel, aber unter Wahrung demokratischer Prinzipien. Mit ihrer von aufklärerischem Impetus getragenen Forderung, den Arbeitern ihre Lage bewußt zu machen und ihnen zu einer kritischen Haltung gegenüber den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen zu verhelfen, weisen sie sich als Erben der Neuen Linken und der Studentenbewegung aus.

Auch in Bad Godesberg bleiben die Jusos allerdings die Antwort darauf schuldig, ob sie Teile der Arbeiterschaft hinter sich haben und/oder wie sie dies bewerkstelligen wollen.

Unbestreitbar zeigt sich in Bad Godesberg wiederum die theoretische Versiertheit der Jungsozialisten, der von den „Asos“ — den Altsozialisten — auch in Hannover kaum Paroli geboten werden kann. Wie diese Theorie in die Praxis umgesetzt werden kann, blieb auf dem Kongreß ein nicht ausdiskutiertes Problem. Wenn auch schließlich der Kandidatur des Juso-Vorsitzenden Wolfgang Roth für den Bundesvorstand der SPD zugestimmt wurde, blieb doch eine leichte Skepsis bei vielen Delegierten, ob sich Jusos so weit in das Partei-Establishment und in die Alltagspolitik integrieren lassen sollten.

Die Entschließungen zur Außenpolitik, die nicht nur durch den von Oppositionsführer Barzel heftig kritisierten Antiamerikanismus geprägt waren, sondern überhaupt ein Defizit an Verständnis dessen zeigten, was Realpolitik gerade auf diesem Feld bedeutet, machten erst recht deutlich, daß vorerst bei den Jusos die Theorie den Vorrang hat und der Pragmatismus — freilich entschieden abgelehnt — den alten Haudegen der Partei überlassen bleibt.

Auch die Vorschläge, wie es nach der Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln aussehen soll, blieben eher theoretisch und konnten den Zwiespalt zwischen dem sich daraus ergebenden Zentralismus im ökonomischen Bereich und dem gleichzeitig vorgetragenen Wunsch nach mehr Demokratisierung nicht überbrücken. Die Ausdehnung des Rätegedankens auf „Verbraucherbeiräte“, die lokal vor Ort bestimmten, was benötigt und deshalb produziert werden soll, mutet wie eine umständliche Transformierung der Marktwirtschaft auf eine theoretische Ebene an.

Hannover muß nun zeigen, wie sich die Gesamtpartei zu diesen Gedanken stellt und wie die Kräfteverhältnisse in der SPD sind. Gespannt wartet man schon darauf, ob die Parteiführung, die in letzter Zeit den Eindruck erweckte, sie stelle sich tot, die Zügel energisch in die Hand nimmt. Sollten Brandt und Wehner als Parteitagsdompteure auftreten, ist abzuwarten, ob die jungen Parteilöwen noch gehorchen. Erste Andeutungen, auch das „Parteidenkmal“ Brandt werde nicht geschont, fielen bereits.

Der Opposition wird der Parteitag in Hannover in keinem Fall Zum Frohlocken Anlaß geben. Zwar sind es CDU und CSU, die immer lautstark die Fraktionskämpfe des politischen Gegners anprangern und als Zeichen der Schwäche zu deuten versuchen. Aber gerade die momentane Ohnmacht der Unionsparteien nach der noch immer nicht verkrafteten Wahlniederlage macht es der SPD leicht, ihre interne Diskussion nahezu auf „offenem Markte“ auszutragen.

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