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Asyl fiir die „Hochverräter“

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besaffären und Trunksucht in der westlichen Presse in die Schlagzeilen gerate.

So konnten es die Jugoslawen noch vor einem Jahr im Boulevardblatt „As“ nachlesen, und auch im „Start“ schimmern diese Tratschgeschichten durch, wenngleich sich die Zeitschrift alle Mühe gibt, den Gesprächspartner mit Samthandschuhen anzufassen und jegliche heiklen politischen Fragen ausklammert.

Es dringt wenig an den Leser. Man erfährt lediglich, daß sich Aleksandar von Karadjordjevic für ein Mehrparteiensystem ausspricht, kein Interesse verspürt, sich im Exil mit jugoslawischen Emigrantenvereinigungen zu verbinden und daß er den serbischen Nationab’cmuc im besonderen und den auf kommenden Nationalismus anderer jugoslawischer Völker verurteilt.

Und man hört von seinem Traum, ähnlich wie sein enger Freund Juan Carlos in Spanien oder die englische Königin eines Tages in einem „demokratischen Jugoslawien in der Rolle einer moralischen Instanz ohne politische Macht“ als König auftreten zu können.

Träumereien, die breiten Raum in der allerersten Wortmeldung des jugoslawischen Thronfolgers seit 1945 einnehmen und die keinen Platz mehr lassen für die Frage, die derzeit Jugoslawien am meisten bewegt: Gibt es geschichtliche Parallelen zu der Kö-

Die bekannte ungarische Regisseurin und Dokumentar-Filme- macherin Judit Ember hat in Budapest soeben einen fünfteiligen Dokumentarfilm beendet, dessen Gegenstand ein brisantes Problem und politisch betrachtet eine heikle Angelegenheit der jüngsten ungarischen Geschichte bildet.

Am 4. November 1956, als die Rote Armee sich anschickte, Ungarns Volksaufstand mit Militär-

gewalt niederzuwalzen, hatten Imre Nagy, der Ministemräsident der Ungarischen Volksrepublik, und etwa 28 Personen aus seinem Bekanntenkreis samt Familien unter noch nicht geklärten Umständen in der Budapester Gesandtschaft der Jugoslawischen Volksrepublik um politisches Asyl angesucht und dieses auch erhalten.

Einen ganzen Monat blieben sie in der Botschaftsvilla in der Nähe des Budapester Stadtparks. Erst als Marschall Tito in seiner Rede in Pula am 20. November 1956 Jä- nos Kädär als neuem Regierungschef Ungarns sein Vertrauen ausgesprochen hatte und Imre Nagy sich dadurch desavouiert fühlte - und zwar zu Recht -, begannen die Verhandlungen zwischen der Nagy-Gruppe und der

Kädär-Regierung, um zu einer Lösung der Lage zu gelangen.

Seitens Kädärs wurde daraufhin Nagy und seinem Gefolge freies Geleit zugesichert — ja in der „Budapester Zeitung“ hatte Kädär auch feierlich versprochen, man gedenke weder jetzt noch in Zukunft gegen Imre Nagy einen Prozeß oder etwas ähnliches anzustrengen.

Daraufhin hatten Nagy und seine Begleiter die jugoslawische Gesandtschaft verlassen. Prompt wurden alle verhaftet, nach Rumänien verschleppt, von wo dann Imre Nagy und die mit ihm festgenommenen führenden Köpfe seiner Gefolgschaft im April 1957 wieder nach Budapest kamen, um sich hier als Angeklagte eines „Hochverratsprozesses“ zu finden.

Das Ergebnis kennen wir: Nagy und drei seiner Mitstreiter wurden zum Tode verurteilt, über andere wurden langjährige Kerkerstrafen verhängt.

Judit Ember hat nun dieses Thema filmisch aufgegriffen. Sie suchte die Schauplätze des Geschehens auf, sprach mit Witwen oder Kindern der Opfer und ließ im Detail die wichtigsten Momente von Nagys Zeit in der Jugoslawischen Gesandtschaft und in Rumänien von ihren Zeitzeugen rekonstruieren.

In der Dokumentation mit einer Zeitdauer von elf Stunden werden aber auch heikle politische Fra gen aufgeworfen. So zum Beispiel Titos Rolle bei der Niederwerfung des ungarischen Volksaufstandes.

Laut den überlebenden Gästen der jugoslawischen Gesandtschaft vom November 1956 kam die Initiative zur Einladung Imre Nagys und der anderen in das Gesandtschaftsgebäude vom jugoslawischen Botschafter selbst. Der wiederum soll diesbezügliche Anweisung direkt aus Belgrad erhalten haben.

Wollte man Nikita Chruschtschow helfen und die Führer des Volksaufstandes eine Zeit-

lang von den ungarischen Geschehnissen fernhalten?

In der Gesandtschaft verhielten sich die Jugoslawen gegenüber Nagy freundlich und zuvorkommend. Damalige Asylanten, die heute noch in Budapest leben, bezeugen in dem Film, daß man sie niemals gedrängt habe, das Botschaftsgebäude zu verlassen. Dies habe man freiwillig getan, weil man Kädärs Versprechungen Glauben schenkte.

Judit Ember rekonstruiert in ihrem Film auch, unter welchen

Umständen die in Rumänien zurückgebliebenen Angehörigen von Imre Nagy und den anderen die Urteile in Budapest im Juni 1958 erfahren hatten.

Und auch darüber wird gesprochen, daß trotz mehrmaliger Bemühungen der Hinterbliebenen die sterblichen Überreste der Hingerichteten den Familienangehörigen nicht übergeben wurden. Sie ruhten an unbekannten Orten und ohne Namenstafel.

Erst in jüngster Zeit, nachdem der heutige ungarische Parteichef Käroly Grosz im Sommer 1988 in den USA dies versprochen hatte, rechnet man damit, daß diese leidige Frage — 31 Jahre nach Vollstreckung der Todesurteile — auf „humanitäre Weise“ gelöst wird.

Wann und wo der Dokumentarfilm „Asylrecht“ von Judit Ember gezeigt wird — darüber herrscht in Ungarn noch Ungewißheit. Die Filmemacherin ist diesbezüglich optimistisch — obwohl sie in der Vergangenheit mit ihren Filmen verschiedentlich schon schlechte Erfahrungen machen mußte.

Nicht wenige ihrer Arbeiten - alle mit zeitgeschichtlich brisanten Themen - mußten Jahre oder Jahrzehnte auf die Vorführung warten, wenn sie überhaupt erlaubt wurde.

Es ist zu hoffen, daß bei der heutigen politischen Lage in Ungarn diese neue Produktion des „Bėla Baläsz-Studios“ der Öffentlichkeit nicht vorenthalten wird.

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