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Athen als viertes Rom?

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Griechenland hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg und noch mehr infolge der anschließenden Bürgerkriegswirren als Fremdkörper auf dem ringsum kommunistisch gewordenen Balkan betrachtet. Kirchenpolitisch war ein Zerfall der alten Einheit und die Zusammenarbeit mit den orthodoxen Kirchen der Rumänen, Serben, Bulgaren, Mazedonier und Albaner eine wichtige Folge der Athener Vogel-Strauß-Haltung. Das vom Kreml kontrollierte Moskauer Patriarchat konnte sich so einen unwidersprochenen Primat über diese zweitwichtigste und auch zahlenmäßig zweitstärkste Kirchenfamilie der orthodoxen Ostchristen sichern. Werden die Gläubigen der russischen Kirche auf 80 oder 100 Millionen geschätzt, so kommen die rund 50 Millionen starken Balkankirchen noch vor den mit Moskau enger gleichgeschalteten 40 Millionen Ukrainern.

Die Entwicklung der griechischen Hauptstadt Athen zu einem mit den russischen Ansprüchen auf die Bezeichnung Moskaus als „Drittes Rom“ — nach der „Ewigen Stadt“ und Konstantinopel — konkurrierenden „Vierten Rom“ der südosteuropäischen Orthodoxie hat noch während der hellenischen Militärdiktatur eingesetzt. Obwohl die Öbri-sten von 1967 bis 1974 im Inland auf jeden Kommunisten Jagd machten, traten sie in engen politischen und wirtschaftlichen Kontakt mit Belgrad, Sofia, Bukarest und selbst mit Tirana, mit dem sich Griechenland seit dem albanischen Winterfeldzug von 1940/41 sogar im Kriegszustand befunden hatte. Die orthodoxe Staatskirche wurde von der Religionsabteilung des Athener Außenamtes ermuntert, die alten Bande zu den Patriarchen der Serben, Rumänen und Bulgaren und zur neben den dort auch zahlreichen Katholiken schwerbedrängten Ostkirche Albaniens aufzunehmen. Die griechische Kirchenpolitik ging dabei den genau umgekehrten, aber nicht minder erfolgreichen Weg, den früher die Russen eingeschlagen hatten. Waren in Moskau vom sogenannten „Kirchlichen Außenamt“ des damaligen Patriarchen Aleksij die Machtmittel des Sowjetstaates bei dessen südosteuropäischen Satelliten für gleichliegende Interessen“ von Orthodoxen und Atheisten — so die Vernichtung der mit Rom unier-ten Osthierarchie in Siebenbürgen — bedenkenlos eingesetzt worden, so war es in Griechenland die staatliche Diplomatie, die den Anstoß zur Devise „Orthodoxe der Balkanländer vereinigt euch!“ gegeben hat.

Nachdem schon 1968 ein erstes Tauwetter zwischen den orthodoxen Griechen und den Jugoslawen eingesetzt hatte, wurde Anfang der siebziger Jahre in einem bisher leerstehenden Kloster bei Athen — der Abtei von Pendeli — ein interorthodoxes Studienzentrum eingerichtet, in dem vorwiegend Serben und Griechen, kaum aber Rumänen und schon gar keine Bulgaren oder Albaner beisammensaßen. Während die kirchliche Kontinuität durch Beibehaltung des noch von der Militärjunta eingesetzten, aber vorbildlichen Erzbischofs von Athen, Seraphim, gewahrt blieb, hat erst die mutige Balkanpolitik des Ministerpräsidenten Karamanlis dem kirchlichen Dialog über den Eisernen Vorhang von einst hinweg Tür und Tor geöffnet. Mit der großen Athener Balkankonferenz vom vergangenen Jänner, dem großen Staatsbesuch des recht moskauunabhängigen rumänischen Führers Ceau-sescu in Griechenland und Außenministervisiten aus Sofia, Belgrad und Tirana sind heute auch die Bischöfe wieder.in beiden Richtungen unterwegs. Theologische Fakultäten und Seminare beginnen zusammenzuarbeiten, und die bisher auf beiden Seiten vorherrschende Abwehrhaltung gegen Rom hat sich in eine solche wider die „Moskowiter“ verwandelt.

Für die kleine, aber aktive griechische Orthodoxie war diese Absicherung bei den südosteuropäischen Schwesterkirchen das Gebot der Stunde. Früher hatte sie sich auf die Unterstützung des Ökumenischen Patriarchats in Istanbul, des Erz-bischof-Präsidenten Makarios von Zypern und der orientalischen Patriarchen verlassen können. Diese von alters her hellenischen Kirchenzentren sind nun schon einige Jahre durch Nahostkonflikt und Zypernkrise selbst in ihrer Existenz bedroht. Ökumenisch gesehen, ist eine neue „Kirchenfamilie“ im Werden, die den bisherigen innerorthodoxen Gegensatz Konstantinopel-Moskau aufzulockern verspricht und dem Vatikan ebenso wie dem ökumenischen Rat neue Chancen des Gesprächs und der Zusammenarbeit bietet.

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