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„ Atomb eekebub gegen „Olteufel"?

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Zum vierten Mal innerhalb von sechs Jahren sind die Schweizer am 23. September aufgerufen, über die künftige Energiepolitik ihres Landes zu befinden. Zwei Initiativen stehen zum Entscheid.

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Zum vierten Mal innerhalb von sechs Jahren sind die Schweizer am 23. September aufgerufen, über die künftige Energiepolitik ihres Landes zu befinden. Zwei Initiativen stehen zum Entscheid.

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Ein Volksbegehren fordert das Verbot des Baus weiterer Kernkraftwerke nach dem Muster von Schweden. Eine damit verhängte „Energieinitiative" will zeigen, wie eine atomstromfreie Alternative aussehen müßt.

Urheber der beiden Begehren sind rund 50 Umweltschutz- und Atomkraftwerkgegner-Organisationen, die sich nach der knappen Ablehnung einer ersten Initiative gegen Kernkraft von 1979 (49 Prozent Ja-Stimmen) zusammentaten und nun fünf Jahre später einen zweiten Anlauf nehmen.

Nach dem Willen der Initianten soll mit der Atominitiative erreicht werden, daß der Bau von weiteren AKW zu den bestehenden fünf nicht mehr möglich ist. Insbesondere geht es gegen das Kernkraftwerk Kaiseraugst in der Region Basel, das seit Jahren wohl der heißeste innenpolitische Zankapfel der Schweiz ist.

Auch die bestehenden Atomkraftwerke dürften bei Annahme der Initiative nicht mehr erneuert werden, sodaß die Schweiz spätestens nach dem Jahre 2025 atom-stromfrei wäre. Nach dem Text der Initiative wären auch Bau und Betrieb von Anlagen des Brennstoff kreislauf es (Aufbereitungsanlagen) verboten.

Im Vordergrund der Argumentation der AKW-Gegner stand zunächst das Risikoproblem. Es sei unverantwortlich, den kommenden Generationen Abfallprobleme zu hinterlassen, von denen man noch nicht wisse, ob sie überhaupt je lösbar seien. Wenn auch mit geringer Wahrscheinlichkeit, sei ein großer Unfall mit katastrophalen Folgen jederzeit möglich.

Eher im Vordergrund, vor allem im Zusammenhang mit der Kopplung zur zweiten Initiative, steht aber zur Zeit die Ablehnung der Atomenergie als Motor für das Wirtschaftswachstum und als Ursache für die Energieverschwendung. Beide seien verantwortlich

■ für die wachsende Umweltzerstörung.

„Unsere Gesellschaft benimmt sich im feinen Lebensnetz der Natur wie eine Besatzungsarmee in einem fremden Land. Der maßlos gesteigerte Energieverbrauch ist nur ein Symptom und eine Begleiterscheinung des Zerstörungsprozesses", schreibt zum Beispiel die Geschäftsführerin der „Energiestiftung", die den Abstimmungskampf der Initianten koordiniert.

Ziemlich neu ist dazu das Argument gekommen, die Atomenergie sei in einem weltweiten Niedergang und führe in die große Pleite. Dies einmal wegen der stark gestiegenen Bau- und Gestehungskosten, die auf die Strompreise durchschlügen, dann aber auch wegen der enormen Investitionen, die dann möglicherweise für andere Industriezweige fehlten.

Mit der „Energieinitiative" als Zwilling der Atominitiative wollen die Kernkraftgegner Alternativen aufzeigen und darlegen, daß die Schweiz gar nicht auf Atomstrom angewiesen sei. Sie verlangt eine ganze Reihe von Maßnahmen, um Energie zu sparen, die erneuerbaren einheimischen Energiequellen zu fördern und neue großtechnologische Anlagen zu vermeiden.

So gäbe die Initiative dem Staat die Instrumente für wirkungsvolle Sofortmaßnahmen in die Hand. Isolationsvorschriften für Neu-, bauten und Renovationen, individuelle Heizkostenabrechnung, Wirkungsgradverbesserung von Geräten usw. könnten den Verbrauch von Erdöl (das nicht mit dem „Atombeelzebub" ausgetrieben werden dürfe) und Strom erheblich senken.

Das Volksbegehren fordert auch die Einführung einer Energie-Sparabgabe zur Finanzierung der besseren Energienutzung und der Förderung der Erforschung von Umweltenergien.

Die Landesregierung und die Mehrheit des Parlamentes lehnen die beiden Initiativen klar ab. Ein Verzicht auf die Kernenergie sei nicht verantwortbar, weil damit die Elektrizitätswirtschaft in Frage gestellt sei. Engpässe in der Stromversorgung (vor allem im Winter, wo die Wasserkraftwerke wenig liefern), die ohne weitere Kernkraftwerke zu befürchten seien, hätten schwerwiegende Folgen für Beschäftigung, Wohlstand und gesellschaftliche Entwicklung der Schweiz. Das heutige Recht mit dem Bedarfsnachweis für Kernkraftwerke setze genügend Schranken.

Auch die Energieinitiative wird als „zu einseitig und zu dirigistisch" abgelehnt, auch wenn es Ziele gebe, die auch denen der Landesregierung entsprechen. Die Initiative sei eine „Zwangsjacke" und käme die Schweiz teuer zu stehen. Die Schweiz brauche eine „ausgewogene, wirksame und partnerschaftliche Energiepolitik".

Die Fronten in diesen Energiedebatten sind seit Jahren starr, die Meinungen längst gemacht, die Glaubensbekenntnisse — und um solche handelt es sich bei dieser Materie für die meisten — abgelegt. Die bürgerlichen Parteien und die wichtigsten Verbände aus Industrie und Gewerbe lehnen die Initiative mit großen Mehrheiten ab.

Auf der anderen Seite stehen die linken und umweltschützeri-schen Gruppierungen. In beiden Lagern gibt es einige prominente „Abweichler", die für Schlagzeilen sorgen und den Abstimmungskampf beleben. Während man bei den Bürgerlichen solches Ausscheren zumindest vordergründig eher zu tolerieren bereit ist, ist es bei den Sozialdemokra-ten zu einem handfesten Krach und öffentlicher Rüge gekommen. Kernenergie spaltet eben ...

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