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Atomenergie: Grund in weniger Sorge ?

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Erfahrungen aus jüngster Vergangenheit legen nicht nahe, Atomsperrgeset\%u ändern

Die Äußerungen von Politikern, Zwentendorf möge in Betrieb gehen, mehren sich: Allen voran sind Kreisky und Benya dafür, aber auch die Wirtschaft. Sprechen jüngste Erfahrungen fürden Atomstrom?

Will man dieser Frage nachgehen, genügt es, aufmerksam einschlägige Meldungen zu lesen und sie zu sammeln. Im folgenden möchte ich einige Berichte, die mir im vergangenen Jahr aufgefallen sind, unsystematisch wiedergeben:

Der Unfall in Three Mile Island in den Vereinigten Staaten hat, Gott sei Dank, zu keiner wirklich großen Katastrophe geführt. Seine Folgen sind jedoch immer noch nicht bewältigt: Die amerikanisehe Zeitschrift „Science" berichtete im September 1981, daß der Eigentümer des Atomkraftwerks in größter finanzieller Bedrängnis sei. Einerseits klagen die Aktionäre auf 150 Millionen Dollar (2,5 Milliarden Schilling) Ersatz für entgangenen Gewinn.

Andererseits wachsen die Kosten der Aufräumungsarbeiten ins Uferlose: Damalige Schätzungen beliefen sich auf 17 Milliarden Schilling. Weitere Kostensteigerungen wurden nicht ausgeschlossen, weil die Entgiftung des Wassers schwieriger sei als erwartet.

Als äußerst problematisch erweist sich die Kontrolle der friedlichen Nutzung des spaltbaren Materials durch die Internationale Atombehörde. Die Zeitschrift „New Scientist" vom November 1981 gibt Aussagen von zwei Amerikanern, die als Inspektoren bei der Atombehörde tätig waren wieder.

Zitiert wird Emmanuel Morgan. Er stellt fest, daß die Kon-trollore „nicht imstande sind zu erkennen, ob sogar ins Gewicht fallende Mengen spaltbaren Materials abgezweigt werden und zwar in allen jenen Ländern, in denen eine etwas bedeutendere Atomkraftnutzung gegeben ist."

In den USA, dem Land mit den meisten Atomreaktoren, zeichnet sich eine Erschwerung der Inbetriebnahme von Atomkraftwerken ab. Im Jänner 1982 berichtet „Science" zweierlei: Einerseits verurteilte ein US-Gericht die amerikanische Atombehörde (NRC) dazu, sich mit der Angst der Bevölkerung Harrisburgs auseinanderzusetzen, bevor der Zwilling des verunglückten Reaktors von Three Mile Island in Betrieb gehen dürfe. Damit wird festgehalten, daß nicht nur auf technische, sondern auch auf sozialpsychische Aspekte Rücksicht zu nehmen sei.

Von noch größerer Tragweite ist eine weitere Erkenntnis: Das Verschrotten ausgedienter Atomkraftwerke wird schwieriger als erwaYtet sein. Bisher hatte man damit gerechnet, daß in einem Kernkraftwerk nur Kobalt 60 als stark radioaktiver Isotop in beachtenswerten Mengen anfallen würde.

Weil dessen Halbwertzeit nur 5,27 Jahre beträgt, wollte man stillgelegte Kraftwerke auf 100 Jahre zubetonieren. Nach dieser Zeit wäre die Radioaktivität dieses Isotops auf ein Millionstel gefallen und der Abbruch der Ruine relativ einfach geworden.

Neue Forschungsergebnisse zeigen jedoch, daß zwei weitere Isotope, Nickel 59 (Halbwertzeit 80.000 Jahre) und Niobium 94 (Halbwertzeit 20.300 Jahre), in relativ bedeutenden Mengen anfallen. Da nützt kein Zubetonieren auf 100 Jahre. Daher müssen Atomkraftwerke aller Voraussieht nach sofort abgewrackt werden.

Fragt sich nur wo man die Unmengen radioaktiven Stahls und Betons (etwa 18.000 ms bei einem 1200 Megawatt-Reaktor) verstauen soll?

Ungeklärt bleibt auch die Frage der Endlagerung. Das Hoffnungsprojekt der Bundesrepublik, Gorleben, erweist sich jüngsten Untersuchungen zufolge als ungeeignet. Der für die Atommüllage-rung vorgesehene Salzstock ist durch eiszeitliche Erosion angeschnitten. In seinem Gutachten vom Mai 1982 stellt der Geologe und Atomkraftbefürworter Professor K. Duphorn fest, daß in Gorleben Salz- und Grundwässer in Verbindung stehen.

Ähnliche Probleme gibt es in den USA, wo die Lagerkapazität für radioaktiven Müll in den Kraftwerken an Grenzen stößt. Wohin mit den 8000 Tonnen hochaktiven Mülls? Im Kongreß wird eifrig verhandelt („Science" Mai 1982), aber kein Teilstaat ist bereit, auch nur ein Zwischenlager einzurichten.

Was die Wiederaufbereitung anbelangt, also die Extraktion wiederverwertbaren Materials aus benützten Brennstäben, sind die Aussichten auch nicht besonders rosig: Sechs kommerzielle Werke gab es. Vier von ihnen (in Belgien, Deutschland, England und den USA) wurden eingestellt („Neue Argumente", September 1982). Das japanische ist vorübergehend auf ein Jahr geschlossen und das französische in La Hague arbeitet mit einem Siebentel der vorgesehenen Kapazität — und das durchaus nicht unfallfrei.

Daher wird der radioaktive Müll weiterhin munter ins Meer versenkt: Vor der Küste Kaliforniens lagern 47.500 Fässer, vor der spanischen 85.000 Tonnen.

Untersuchungen der Universität Santa Cruz in Kalifornien zeigen, daß ein Großteil der Fässer geplatzt und verrottet ist. In den Innenorganen der Fische findet man erhöhten Plutoniumgehalt, eine Verseuchung, die erst nach Jahrhunderttausenden abklingt. Sind das gute Gründe, um Zwentendorf doch in Betrieb gehen zu lassen?

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